Warum aus seiner Sicht weniger Autos perspektivisch besser seien als mehr Autos. Und mehr Fahrräder besser als weniger Fahrräder, das erklärte Kretschmann im Gespräch, das ich mit meinem Kollegen Björn Gerteis geführt habe
Herr Ministerpräsident Kretschmann, Sie haben einen Nachmittag lang die Eurobike-Messe besucht. Hat Sie der Besuch dazu animiert, künftig wieder mehr Rad zu fahren?
„Das lässt leider mein Amt nicht zu. Aber das war auch gar nicht der Sinn meines Besuchs. Hier in Friedrichshafen geht es um eine Zukunftsbranche, die immer mehr Bedeutung gewinnen wird – vor allem durch die Elektrifizierung der ganzen Fahrräder. Das wird ein ganz wichtiger Baustein in zukünftigen Mobilitätskonzepten sein.“
Sie haben in Ihrem Amt die Möglichkeit die Zukunft der Fahrradmobilität zu beeinflussen. Was muss passieren, damit E-Bike und Fahrrad noch populärer werden?
„Man kann ganz verschiedene Dinge tun. Als erstes geht es um Infrastruktur. Wir brauchen gute Radwege, auch und vor allem in Städten. Wir brauchen aber auch Radschnellwege. Bis 2020 möchten wir 10 dieser Radschnellwege bauen. Wir müssen aber auch an der Radkultur arbeiten. Ich meine hier zum Beispiel das rücksichtsvolle Miteinander zwischen Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern. Der Schwerpunkt liegt aber in der Elektrifizierung und Digitalisierung des Radverkehrs. Es kommen jetzt Komponenten aus dem Automobilbereich an das Rad, zum Beispiel das ABS fürs E-Bike. Wir sprechen beim Elektro-Fahrrad mittlerweile von echten Hightech-Produkten, für die man ganz andere Summen auf den Tisch legt als für ein Fahrrad.“
Und hier kommt das Thema Sicherheit ins Spiel …
„Genau, man braucht die Sicherheit, dass das E-Bike nicht geklaut wird. Wer genau davor Angst hat, wird entweder gar nicht mit dem Rad fahren oder es sich erst gar nicht kaufen. Das heißt, wir brauchen sichere Abstellplätze und intelligente Lösungen zum Schutz der Räder. Eins steht fest: Wir werden die Verkehrsprobleme in den großen Städten nicht bewältigen können, wenn es uns nicht gelingt den Anteil der Radfahrer wesentlich zu erhöhen.”
„Wir müssen uns ein Stück weit vom Gegeneinander entfernen. Das ist die Zukunft.“
In Städten gibt es nur begrenzten Raum. Wer dem Radverkehr mehr Platz einräumen möchte, muss ihn zwangsläufig den Autofahrern nehmen. Wie kann Ihnen als Ministerpräsident eines Autolandes dieser Spagat gelingen?
„In erster Linie ist das eine Aufgabe für die Kommunen. Dieses Problem muss dort gelöst werden. Mit so vielen Autos in den Metropolen bekommen wir Probleme. Verkehrskonzepte wie das automatisierte Fahren werden in der Zukunft dafür sorgen, dass Platz für den Radverkehr in der Stadt entsteht. Das gleiche gilt für die intelligente Vernetzung der Verkehrsträger. Wir müssen uns ein Stück weit vom Gegeneinander entfernen. Das ist die Zukunft.“
Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Mobilität in den nächsten fünf bis zehn Jahren verändern?
„Im gesamten Radmarkt gibt es schon jetzt eine unglaubliche Dynamik. Man muss sich nur mal die Diversifizierung bei Rädern und Komponenten anschauen, die man auf der Eurobike sieht. Dazu kommt auch noch, dass Radfahren unglaublich gesund ist. Das passt gut in unsere heutige Wellness-Kultur. So kann der Trend für diese Mobilitätsform nur steil nach oben gehen. Die Städte werden sich in Zukunft einen Wettbewerb liefern, wer am mobilitätsfreundlichsten ist. Und diesen Wettbewerb kann man nur gewinnen, wenn man auch radfreundlich ist.“
Nicht nur in der Stadt ist das Fahrrad populär, sondern auch abseits der befestigten Wege auf einem Mountainbike oder E-Mountainbike. Mit dem Schwarzwald und der Schwäbischen Alb gibt es in Baden-Württemberg zwei Regionen, die bei dieser Gruppe hoch im Kurs stehen. Allerdings gibt es auch die 2-Meter-Regel, die Mountainbikern in Ihrem Land vieles von dem verbietet, was Mountainbikern Spaß macht. Warum halten Sie an der 2-Meter-Regelung weiter fest?
„Wir sind das Land der Wanderer. Schwarzwaldverein und Schwäbische-Alb-Verein zählen zu den größten Wandervereinen Europas. Wandern hat bei uns im Land eine große Tradition. Wir müssen zusehen, dass wir die Nutzung des Waldes so gestalten, dass beide, Radfahrer und Wanderer, genügend Freiräume erhalten. Am besten geht dies über individuelle Lösungen. Ich denke, dass hier keine globale Lösung hilft, sondern dass man vor Ort entscheiden muss, wie man mit der 2-Meter-Regelung umgeht. Es ist ein lösbares Problem. Man muss nicht eine Maßnahme im gesamten Land durchsetzen, sondern in den jeweiligen Regionen müssen sich die Akteure einigen.“
„Ich war sicher einer der ersten, der ein Elektro-Fahrrad gekauft hat.“
Mit mehr miteinander als gegeneinander …
„Absolut! Und zwar indem man sich angepasste, ortsnahe Lösungen anschaut und diese durchsetzt. Dann bekommt man das hin.“
Sie haben auf Ihrem Messebesuch viele Rad-Neuheiten gesehen und gezeigt bekommen – welche würden Sie gerne einmal ausprobieren?
„Durch mein Amt habe ich mich leider ein bisschen vom Radfahren entfernt. Wenn ich mal Zeit habe, dann gehe ich gerne zu Fuß. Meine Frau und ich sind leidenschaftliche Wanderer. Ich war allerdings sicher einer der ersten, der ein Elektro-Fahrrad gekauft hat. Meine Frau hat vor über zwölf Jahren eins bekommen – da gab es E-Bikes noch so gut wie gar nicht. Es ist zwar ein alberner Wunsch, aber wenn ich mich hier auf der Eurobike umschaue, dann wäre ich gerne noch einmal 20 Jahre jünger, um mir das alles reinzuziehen und auszuprobieren. Es macht einen unglaublich an, wenn man hier durch die Hallen läuft. Was es hier alles an neuer Technik und an neuen Ideen gibt, das fasziniert mich, auch wenn ich es nicht direkt nutze. Aber es gibt ja Millionen Menschen, die in einer anderen Situation sind als ich – und die werden sicher anbeißen.“
Das Interview wurde auf der Website des Magazins ELEKTROBIKE veröffentlicht.