Manche Veranstaltungen kann man eindeutig am Soundtrack an der Hotelbar erkennen. Wenn dort Sätze wie: „den kannst du im zweiten Gang hochdrehen und im vierten noch zucken lassen“ oder: „den größten Stress am Wochenende hat das Getriebe“ fallen, dann ist klar: Hier hat gerade eine ganz besondere Spezies Einzug gehalten und sich zu einem ganz besonderen Zeitvertreib getroffen. Wenn solche Sätze fallen, dann steigt in und um Deutschnofen die Eggentaler Herbst Classic.
Jede Menge Oldtimer tauchen jedes Jahr Südtirol und das Trentino drei Tage lang in einen unvergleichlichen Sound. Den Sound von kraftvollen und voluminösen Motoren, die allesamt wunderschöne und liebevoll gepflegte Oldtimer antreiben. Und es scheint, als klingen die Motoren hier noch schöner als anderswo, gerade so als ob nicht nur die Fahrer, sondern auch die Seelen der Autos in jeder Sekunde spüren würden, was Cheforganisator Klaus Pichler bei der Begrüßung verspricht: „Ihr fahrt hier im Paradies!“
Kein Wunder, dass von den 122 Teams, die sich 2019 im Rallyezentrum Ganischgerhof einfinden, knapp 100 Wiederholungstäter sind, drei Teams sogar schon das zehnte Mal mitfahren. Fragt man die Teilnehmer, was denn das Suchtpotenzial der Eggentaler Herbst Classic ausmacht, sind die Antworten fast schon langweilig. Die Landschaft. Das Essen. Die Atmosphäre. Auch Peter Schmid, der mit seiner Frau Daniela als Co-Pilotin mit einem Triumph Spitfire GT 6 am Start ist, gibt dieselben Antworten. „Wir dachten beim ersten Mal eigentlich, dass das eine einmalige Sache sei“, sagt Schmid, der rund 25 Rallyes pro Jahr fährt. Mittlerweile ist er mit Daniela aber bereits das vierte Mal bei der Eggentaler Herbst Classic mit dabei und sagt mit zufriedenem Gesichtsausdruck: „Es fühlt sich für uns an wie Urlaub!“
Sie bilden eine große Familie, die Teilnehmer der Eggentaler Herbst Classic. Aber eine, die offen ist für neue Mitglieder. Absoluter Rallye-Frischling ist zum Beispiel DJ John Munich, der in Wahrheit John Jürgens heißt und dessen Vater Udo einer der Größten im deutschsprachigen Showbusiness war. „Ich bin noch nie zuvor selbst einen Oldtimer gefahren“, sagt er und hat deshalb auch gewisse Eingewöhnungsprobleme: „Ich war eigentlich genug beschäftigt damit, das Auto zu fahren und hatte anfangs etwas Schwierigkeiten mit den Prüfungen.“
Oldtimer-Rallyes wie die Eggentaler Herbst Classic beinhalten nämlich mehr, als nur mit schönen Autos durch die schöne Gegend zu kurven. Neben dem Spaß geht es darum, Punkte bei Prüfungen zu sammeln. Ziel ist dabei, bestimmte Anforderungen in einer vorgegebenen Zeit möglichst genau zu bewältigen. Schnelligkeit steht dabei in der Regel nicht im Vordergrund. Viel mehr Präzision. Und natürlich geht es – bei aller Freundschaft in der großen Famile – auch um eine ordentliche Portion Ehrgeiz. Claus Dassow zum Beispiel und seine Frau Christine sind erfahrene Oldimer-Rallye-Hasen. Aber bei der Eggentaler Herbst Classic sind sie mit ihrem roten 911er Targa das erste Mal dabei. Und entsprechend nervös: „Mir wäre es am Liebsten, wenn es gleich losgehen würde“, gesteht Christine beim Abendessen vor dem ersten Rallyetag.“
Vor dem ersten Rallyetag herrscht ohnehin nervöse Betriebsamkeit auf dem Gelände des Ganischgerhof. Jürgen Strasser etwa, der im südbadischen Laufenburg die „Oldtimer-Galerie“ betreibt, wienert liebevoll seinen 190er SLR. James Latham aus New York holt seinen AC Ace Bristol aus dem Anhänger, nachdem er sein Auto seit der letzten Eggentaler Herbst Classic fast ein ganzes Jahr nicht mehr gesehen hat, weil er ihn in Deutschland parkt, wenn er nicht gerade Rallyes fährt. Tony Maessen aus Belgien dagegen hatte gerade ausgiebigen Kontakt mit seinem Elfer. Er gehört zu der Gruppe, die durch halb Europa angereist ist – und sozusagen eine kleine interne Vor-Rallye veranstaltet hat.
Weil zu Südtirol die Sonne gehört, hat es rechtzeitig zum Start der Eggentaler Herbst Classic aufgehört zu regnen. Die Dolomiten-Kulisse vor Rosengarten und Latemar ist unverschämt schön, als das erste Auto, ein spektakulärer Alfa Romeo 8C Monza aus dem Jahr 1934, mit Peter Reck und Jochen Kist auf die Strecke geht. Und vom ersten Meter an ist klar, warum „die Landschaft“ die Teilnehmer der Eggentaler Herbst Classic anzieht wie ein großer Magnet. Dolomitenpässe, unglaubliche Panoramen, tiefblaue Seen. Beim Mittagessen an Tag zwei parkt die komplette Oldtimerflotte direkt am Ufer des Gardasees mitten in Riva – und bildet somit ein beliebtes Fotomotiv für neugierige Touristen. Tags darauf dagegen hält so mancher Teilnehmer auf der Passhöhe des Sellajochs für ein Auto-Fahrer-Co-Pilot-Selfie vor der imposanten Kulisse des Langkofels.
Wer schon einmal Gast im Ganischgerhof war, weiß, wie sehr man kulinarisch verwöhnt werden kann. Für Teilnehmer der Eggentaler Herbst Classic liegt die Latte aber nochmal höher. Zünftig mit Speck, Käse oder Knödeln geht es noch beim Tiroler Abend – standesgemäß mit stimmungsvoller Live-Musik – hoch oben auf der Ganischgeralm zu. Galadinner und Abschlussabend warten dagegen mit einem ganzen Thunfisch, Tomahawk-Steaks oder riesigem Dessertbüffet auf. Die Anstrengungen der Tage wollen ja kompensiert werden – und die haben hin und wieder unangenehme Überraschungen parat. „Der Öldruckgeber“, sagt Dr. Eberhard Arnold mit einem leicht verzweifelten Lächeln und ölverschmierter Hose. Kurz darauf allerdings erscheint er im edlen Zwirn und sorgfältig gezwirbeltem Bart im Hotelrestaurant – und gibt schon einmal einen Vorgeschmack darauf, was beim Finaleinlauf am letzten Rallyetag in Deutschnofen zu sehen sein wird.
Für den Concours d’Élegance werfen sich nämlich die meisten der Teilnehmer nochmal richtig in Schale – schließlich gib’s für das beste Outfit eine Extra-Wertung. Halb Deutschnofen ist auf den Beinen, um sich das Spektakel mitten im Ort anzuschauen. Es ist die Krönung von drei Tagen Rallye-Faszination. Und es zeigt, was die Eggentaler Herbst Classic letztendlich zu einer ganz besonderen Rallye macht: die Atmosphäre.
Moderiert wird der Concours d’Élegance von Michael Hagemann, die deutschsprachige Stimme schlechthin, wenn es um Oldtimer geht. Und das hört sich dann zum Beispiel so an: „Der Pontiac GTO, Baujahr 1966, hat 6,7 Liter Hubraum, 350 PS, acht Zylinder, braucht 24 Liter – auf 50 Kilometern. Es macht Spaß ohne Ende, wenn man damit fährt, cruist und unterwegs ist. in Gran Turismo Omologato 200km/h schnell, zwei Tonnen Eigengewicht ohne Hund. Larry Hagman oder Samuel L. Jackson, die fuhren so einen GTO.“ Manche Veranstaltungen kann man eben eindeutig am Soundtrack erkennen.
Die Reportage wurde auf der Website des Hotels Ganischgerhof in Deutschnofen veröffentlicht.