Vor dem Start: Feuer und Flamme
Nach über einem Jahr penibler Vorbereitung sitzt Guido Kunze mit seiner Familie am Flughafen in Frankfurt und wartet auf den Flieger. Obwohl er bald zu seinem Weltrekordversuch aufbrechen wird, ruht Guido in sich selbst. Er gehört zu den unaufgeregten Typen der Szene, obwohl seine Projekte immer spektakulär sind. Diesmal will er sich von der russischen bis fast an die chinesische Grenze durch die Mongolei kämpfen. Gut 2000 Kilometer für seinen vierten Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde. Beim Empfang von Guido Kunze, dessen Frau Gaby und den Söhnen Marvin und Melvin in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar ist sofort zu spüren, was den Extremsportler dort erwartet. Überbordende Gastfreundschaft, Herzlichkeit und eine Begeisterung, von der er sich ordentlich Rückenwind verspricht: Alle sind Feuer und Flamme für den Europäer, der sich ausgerechnet ihr Land für den Weltrekordversuch ausgesucht hat. Dementsprechend ist die Unterstützung fast schon grenzenlos. Eine letzte komfortable Nacht im Kempinski-Hotel täuscht aber nicht darüber hinweg, was die nächsten Tage auf dem Programm steht. Kaum Schlaf und ewig lange, ultra-anstrengende Tage voller Einsamkeit auf dem Rad. Mit zwei Transportern und einem umgebauten Reisebus bricht die 13-köpfige Crew Richtung russischer Grenze auf – 1500 Kilometer auf teils extrem ruppigen Straßen. Unterwegs hält der Konvoi immer wieder an, um das Leben der Menschen kennenzulernen. Organisiert von Guidos Freund Markus Loch, der seit 2020 in der Mongolei lebt und arbeitet, soll der Extremsportler einen Eindruck vom mongolischen Alltag erhalten, das sich auf dem Land in Jurten abspielt. Die eineinhalbtägige Sightseeing-Tour endet schließlich am 4. August 2022 um punkt 17 Uhr. Guido Kunze bricht zu seinem Mongolei-Abenteuer auf – unter den begeisterten Blicken von gut gelaunten Grenzbeamten. Sein Gefährt: Ein Mountainbike-Hardtail ausgestattet mit Shimanos XTR, Anbauteilen von Pro und Reifen von Michelin. Guidos Vertrauen in das Material ist so grenzenlos wie seine Energie. Genau drei Ersatzteile hat er in die Mongolei mitgenommen: einen Satz Bremsbeläge, einen Schaltzug und ein Kettenschloss.
Tag 1: Es läuft gut. Eigentlich
Guido ist froh, dass es endlich losgeht. Zwar erwischt ihn gleich zu Beginn einer der berüchtigten heftigen Regenschauer des mongolischen Sommers – doch ansonsten läuft es wie geschmiert. Das Material passt. Guido fühlt sich fit. Es wird extrem windig – aber es bläst von hinten, und das verleiht Guido die ersten Stunden ordentlich Schub. Doch in der Nacht dreht der Wind, aber Guido kämpft sich mit all seiner Routine durch. Fährt so präzise wie ein Uhrwerk und macht seine regelmäßigen und kurzen Pausen wie geplant. Die erste Nacht fährt er komplett durch – und als es wieder hell wird, kann er die atemberaubende Weite der Landschaft genießen. Ein spektakulärer Regenbogen gehört ebenso zu seinen temporären Begleitern wie eine Herde Kamele. Wobei sich Guido sich an die vielen Tiere am Wegesrand gewöhnen muss. Er weiß genau: Ein unachtsamer Moment und das Projekt Weltrekord könnte ganz schnell beendet sein. Als eine Frau allerdings während der Mittagspause seine Reifen segnet, indem sie – so wie es hier Tradition ist – Milch darauf tröpfelt, ist das eigentlich ein Zeichen, dass nichts schief gehen wird. Doch schon am späten Nachmittag droht das Aus. Guido hat Magen-Darm-Probleme. Muss sich heftig übergeben. Nach knapp 30 Stunden und 606 Kilometern steigt er entkräftet vom Rad. „Ich fahr heute keinen Meter mehr“, sagt er, bevor er direkt ins Bett fällt. Wie es morgen weiter geht? Das weiß im Moment noch niemand.
Tag 2: Fast schon ein Ruhetag
Am Morgen von Tag zwei die Erleichterung: Guidos Magen hat sich über Nacht erholt. Zumindest so, dass er zur Überraschung aller sagt: Ich fahre weiter. Zwar kann er noch nicht wirklich viel essen, aber das, was er zu sich nimmt, bleibt wenigstens drin. Guido gönnt sich nach fast sieben Stunden Schlaf fast schon einen Ruhetag – und spult routiniert 200 Kilometer ab. Was ihm hilft: Er muss keine Zeit jagen, sondern will einen Weltrekord setzen. „Das nimmt etwas den Druck raus“, sagt er erleichtert – und schmiedet gedanklich schon die ersten Pläne, wie er die verlorenen Stunden in den kommenden Tagen nachholen will. Auch landschaftliche Abwechslung hilft ihm. Die ersten Berge sind zwar kräftezehrend, aber sie helfen gegen die Monotonie ewig langer Geraden durch die schier unendliche Weite der Mongolei.
Tag 3: Im Pass-Fieber
Aber Pässe in der Mongolei, das bedeutet: ultrasteile Straßen, grober Schotter, tiefe Schlaglöcher. Die XTR-Mountainbike-Übersetzung, eine Federgabel sowie pannensichere Jet XC2 Reifen von Michelin – tubeless montiert – bestätigen Guido Kunze in seiner Materialwahl. „Zum Glück hab ich mich für ein Mountainbike entschieden“, sagt er das erste Mal. Bislang wäre er mit einem Gravelbike wohl schneller vorangekommen. Aber jetzt hat Guido unschlagbare Vorteile gegenüber den schweren im Schritttempo fahrenden Lastern, an denen er sowohl bergauf als auch bergab scheinbar mühelos vorbeifahren kann. Guidos typisches Lächeln ist längst wieder in sein Gesicht zurückgekehrt. Nach drei Tagen Strapazen hat er die schlimmsten gesundheitlichen Probleme bezwungen und zurück in seine Mitte gefunden. „Es gibt wenige Menschen, die mich mit schlechter Laune kennen“, sagt er, auch wenn so langsam Arme und Schultern beginnen zu schmerzen und der Hintern sich auf ein Sofa freuen würde. „Am Sattel liegt’s nicht“, analysiert er augenzwinkernd. Weil er mit dem PRO Stealth-Sattel mit ergonomischer Aussparung zwar perfekt zurechtkommt – andererseits aber aus Erfahrung weiß: Tagelang quasi nonstop auf dem Fahrrad zu sitzen, fängt zwangsläufig irgendwann an weh zu tun. „Damit umzugehen und trotzdem immer weiter zu fahren – das ist die Kunst“, schöpft Guido neue Energie und nimmt die restlichen der heutigen 350 Kilometer in Angriff.
Tag 4: Großer Bahnhof in Ulaanbaatar
Ein paar Tropfen Öl für die Kette, ein bisschen Luft für die Reifen. Guidos Mountainbike erinnert an den guten alten VW-Käfer. Es läuft und läuft und läuft. Technische Probleme gibt’s allerhöchstens in den Reihen seiner Supporter. „Du musst mal deine Tür schmieren“, sagte er zum Fahrer eines der Begleitfahrzeuge und holt in einer kurzen Pause schnell das Sprühöl aus der Werkzeugtasche. Guido wird nach wie vor im ganzen Land von einer Woge der Begeisterung getragen. Fernsehsender berichten, Menschen jubeln ihm zu. Und nach rund 1500 Kilometern Strecke wartet ein riesiger Empfang in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar. Hochrangige Politiker, Botschafter und Funktionäre jubeln Guido zu, der von der Polizei eskortiert, im Stadtzentrum eintrifft. Und sie gratulierten ihm so, als hätte er es fast schon geschafft. Guido spielt das Spiel freundlich mit. Aber insgeheim will er so schnell wie möglich weiter, weil er genau weiß: es sind noch mehr als 500 Kilometer.
Tag 5: Der letzte Husarenritt
250 Kilometer vor der chinesischen Grenze gibt es keine befestigten Straßen mehr, weshalb im Zentrum von Baruun-Urt Guido Kunzes Weltrekordversuch enden soll. Weniger als sechs Tage – das ist nach wie vor das Ziel von Guido Kunze, das er von Beginn an im Visier hatte. Aber dazu muss er noch einmal eine Nacht durchfahren. Im Morgengrauen ist zum ersten Mal zu spüren, wie sehr ihn die letzten Tage ausgelaugt haben. In einer Pause ist er so am Ende, dass er nicht weiß, wie lange er noch fahren muss, wann er das letzte Mal vom Rad gestiegen ist und wo er sich genau befindet. Als aber das Ziel näherkommt, entspannen sich seine Gesichtszüge wieder: „Lass uns mal die letzten 20 Kilometer so richtig genießen“, sagt er zu den mongolischen Nachwuchsfahrern, die auf ihn an der Strecke warten und mit ihm bis ins Ziel fahren wollen. Glücklich fällt er dort allen Begleitern, vor allem seiner Familie, um den Hals und reckt voller Stolz und Erleichterung nach exakt 5 Tagen, 21 Stunden und 59 Minuten die Faust in den strahlend blauen mongolischen Himmel. Dass Guido Kunze sich nur wenig Zeit zur Erholung gönnen wird, das weiß wahrscheinlich kaum einer so gut wie sein Sohn Marvin. Mit einem breiten Grinsen flüstert er seinem Vater während der innigen Umarmung ins Ohr: „Also dann bis zum nächsten Projekt!“ Gut möglich, dass Guido Kunze dafür dann genau die drei Ersatzteile mitnehmen wird, die er in der Mongolei dabei hatte. Gebraucht hat er davon nämlich kein einziges.