„Zuschneiden, Rundschneiden, Lochen, Vorziehen.“ Bertram Weiß lehnt lässig über seiner Drehmaschine und fängt mit seinen kräftigen ölverschmierten Fingern an zu zählen. „Dreizehn!“, sagt er stolz: „Dreizehn Mal habe ich so ein Stück Metall in der Hand, bis daraus ein Leuchtenreflektor wird.“ Seit 42 Jahren steht er nun hier in der Drückerei, dem Herzstück der Bolichwerke, die sich gegenüber dem Bahnhof des Dörfchens Odenheim, einem Ortsteil von Östringen, verstecken. Diese „Fabrik zur Herstellung von Leuchten aller Art“ feiert in diesem Jahr ihren 110. Geburtstag, weil ihr Gründer 1911 eine Vision hatte, von der er felsenfest überzeugt war: „Die Zukunft liegt im elektrischen Licht.“
Heute dagegen fühlt sich der Blick in die Produktion der Bolichwerke an wie eine Reise in die Vergangenheit. In Zeiten, in denen der Begriff Manufaktur landauf, landab überstrapaziert wird, verlässt hier keine Leuchte den Hof, die nicht in liebevoller Handarbeit hergestellt wird. Schritt für Schritt. Teil für Teil. Von Menschen mit Köpfen voller Ideen, Herzen voller Leidenschaft und Händen voller Geschick.
Der Zeitgeist als Rettung der Bolichwerke
In der Blütezeit der Firma arbeiteten dort mehr als 100 Beschäftigte – bevor der Konkurrenzdruck der Massenproduktion immer größer wurde. Heute sind es noch 30. In einem Unternehmen, das aber wohl heller leuchtet als jemals zuvor. „Der Zeitgeist hat uns gerettet“, gibt Günther Bolich, der zusammen mit seinem Sohn Benny das Unternehmen in dritter und vierter Generation führt, unumwunden zu. Mit Handwerkskunst, Individualität und Nachhaltigkeit treffen die Leuchten der Bolichwerke mittlerweile den Nerv von immer mehr Menschen. „Billigware gibt’s bei uns nicht, dafür aber Leuchten für die Ewigkeit“, sagt Benny Bolich.
Die Hände von Bertram Weiß wenden dafür mit viel Kraft und noch mehr Geschick eine Technik an, die heute nahezu ausgestorben ist. Auf einer Drehmaschine drückt, walzt und bördelt er Metallbleche zu Leuchtenreflektoren. Deren Spuren zeugen von Handarbeit und weisen sie als Unikate aus. Hinten im Regal, da liegt noch eine alte Schutzausrüstung, als sich die Drücker noch an die Maschinen quasi anketten mussten und dabei aussahen wie mittelalterliche Ritter. Heute haben sie besseres Werkzeug, arbeiten mit Führungen und langen Hebeln. „Abends weiß ich aber trotzdem, was ich geschafft habe“, sagt Weiß, und erklärt dabei, wie schwierig es ist, das nötige Feingefühl bei riesigem Kraftaufwand zu beweisen: „Eigentlich muss man meinen Beruf mindestens zehn Jahre lernen.“
Leidenschaft, Pragmatismus, Flexibilität
Aber nicht nur Bertram Weiß hat hier jede Menge Erfahrung. Zwischen den monotonen Geräuschen der wuchtigen Maschinen klingt immer wieder badischer Dialekt durch. Von Mitarbeitern, die aus der Region kommen, mit der Gegend verwurzelt und stark mit ihrem Betrieb verbunden sind. Josef May, den sie hier Seppl nennen, fertigt gerade eine Deckenaufhängung nach der anderen. Nächstes Jahr wird er seine 40-jährige Betriebszugehörigkeit feiern. In der Stanzerei, wo er so ziemlich jedes Kleinteil, das für die riesige Modellpalette der Bolichwerke gebraucht wird, herstellt, fühlt er sich wie zu Hause. Entsprechend groß sind die Regale, auf denen sich unzählige Werkzeuge dicht an dicht aneinanderreihen. Mit computergesteuerten Maschinen will er eigentlich nichts zu tun haben: „Ich bin im Nebenberuf Landwirt und war Panzerschlosser, als ich beim Bund war – wenn hier mal die Maschinen nicht laufen, dann krieg ich die schon wieder gerichtet.“
Es fühlt sich hier so an, als wären sie alle ziemlich stolz auf das, was sie mit ihren Händen jeden Tag erschaffen – mit einer Mischung aus Leidenschaft, Pragmatismus und Flexibilität. Aber auch mit einer wohltuenden Bescheidenheit. Dass die Bolichwerke es in manchen Bereichen zu glanzvollem Ruhm gebracht haben, trägt hier niemand zur Schau. Große Restaurantketten, Sterne-Restaurants, angesagte Bars, renommierte Architekturprojekte in New York, London oder Stockholm – überall auf der Welt findet man mittlerweile handgemachte Bolich-Leuchten, aber auch hier in der Region. Im Eventbereich des Hardtwaldstadions etwa beim SV Sandhausen. Oder in Karlsruhe, wo 2018 ein Innenstadtprojekt für Aufsehen sorgte, bei dem überdimensionierte gelbe Schreibtischleuchten besondere Stellen der Stadt anstrahlten – nach dem Vorbild einer Bolich-Leuchte.
Hollywood als große Bühne
Das größte Publikum hatte die badische Manufaktur bislang aber wohl unter Cineasten. Mehr als zwei Millionen Menschen haben alleine in Deutschland gesehen, wie in Quentin Tarantinos „Inglourios Basterds“ die Kinobesitzerin Shoshanna Dreyfus mit ihrem Filmvorführer die Ermordung Adolf Hitlers plant. Über ihnen hängt in dem prächtigen Treppenhaus des Pariser Kinos eine sechsstrahlige Röhrenleuchte. Sie ist das größte Modell der Bolichwerke und entsteht in den Händen von Matthias Klumpp mit außergewöhnlicher Liebe zum Detail. “Pfuschen überlassen wir den anderen”, sagt Klumpp selbstbewusst, der seit 34 Jahren der Firma angehört und von seinen Kollegen „Mister Mannheim“ genannt wird – weil seine Werke den Namen der Quadratestadt tragen.
Auch die knapp 200 anderen Leuchten der Manufaktur-Serie Ebolicht sind nach deutschen Städten benannt. „Ich wollte unser Aushängeschild nach der Hauptstadt taufen“, plaudert Günther Bolich aus dem Nähkästchen – weshalb die populärste aller seiner Leuchten Berlin heißt. Hinter dem Namen Bonn verbirgt sich dagegen ein eher kleines und einfaches Exemplar. Und die filigrane Schreibtischleuchte Fulda wurde eigens für die dortige Bibliothek konzipiert. „Ansonsten sind die Namen aber zufällig ausgewählt“, sagt der Seniorchef – was erklärt, dass selbst das Modell Pforzheim bemerkenswerte Eleganz ausstrahlt.
Der lange Schlot hat ausgedient
Gerd Wormer, der Kapo in der Metallproduktion, erkennt alle Modelle auf den ersten Blick. Er schneidet gerade ein Gewinde nach, das sich in der Endmontage als zu störrisch erwiesen hat. Normalerweise ist er aber dafür verantwortlich, dass traditionelle Fertigung mit modernen Abläufen einhergehen, weshalb in seinem Büro der einzige Computer der Produktion steht. Aber auch Wormer arbeitet vorwiegend und am liebsten mit den Händen. Wenn mal eine neue Form gebraucht wird, ist sein Know-how gefragt. Früher waren die Formen, im Fachjargon Futter genannt, aus Holz. „Heute machen wir die Futter aus Kunststoff, weil das einfach langlebiger ist“, erklärt Wormer. Und das, obwohl er Kunststoff eigentlich gar nicht mag. Wormer ist Metaller durch und durch. „Das kann ich löten oder schweißen“, sagt er. „Und ich liebe es, wenn ich Dinge reparieren kann.“
Zufrieden, sagt Benny Bolich, „sind wir hier erst, wenn unsere Produkte in perfekter Qualität den Hof verlassen.“ Deswegen ruht sich hier auch niemand auf den Lorbeeren der Vergangenheit aus. Der lange Schlot auf dem Firmengelände hat so längst schon ausgedient. Er zeugt von Zeiten, in denen die Leuchtenreflektoren in Odenheim noch emailliert wurden. Heute sorgt eine moderne Pulverbeschichtungsanlage für den Oberflächenglanz – der nach Wunsch in jeder beliebigen Farbe aufgetragen werden kann. „Emaille ist viel zu energieaufwendig und auch anfälliger“, erklärt Benny Bolich, der – wenn Not am Mann ist – auch selbst mal Hand beim Beschichten anlegt.
Nicht aus der Fassung zu bringen
Normalerweise aber trägt Andreas Vetter, ein weiteres Bolich-Urgestein, das Pulver mit der Pistole auf die Reflektoren auf, bevor sie für 30 Minuten in den Ofen kommen. Er ist mit 43 Jahren Betriebszugehörigkeit der Methusalem, arbeitet mit stoischer Ruhe und bemerkenswerter Akribie. Petra Ulrich dagegen ist erst seit neun Jahren hier und somit fast schon das Küken unter den Kollegen. Aber auch sie lässt sich nicht so leicht aus der Fassung bringen. Auch nicht, wenn mal wieder ein eiliger Sonderauftrag kommt, wie so oft aus der Filmbranche. Einst sind die Bavaria-Filmstudios auf die Leuchten aus Odenheim aufmerksam geworden. Am Anfang nur sporadisch, schwören heute einige Requisiteure und Produktionsfirmen auf das nostalgische Flair der handgemachten Leuchten. Aber auch auf die Vielfalt und Flexibilität der Manufaktur: „Natürlich versuchen wir für solche Anfragen alles möglich zu machen“, erklärt Bolich, „so wie für alle anderen Kunden auch.”
Die Präsenz im Filmgeschäft erfüllt den Senior durchaus mit Stolz – auch dass zum Beispiel Til Schweiger zum großen Fan seiner Leuchten geworden ist. Er blickt zufrieden darauf, wie die lichttechnische Fabrik aus dem Jahre 1911 heute noch dasteht und bereitet sich darauf vor, kürzer zu treten. Drei Jahre lang saß er zusammen mit Sohn Benny in einem Büro. „Die Firma ist in guten Händen“, sagt er zu der Situation, dass sein Sohn immer mehr die Fäden in der Hand hat. „Wir wollen die Arbeitsplätze erhalten und den Namen Bolichwerke weiter glänzen lassen“, beschreibt der Junior seine Vision für die Zukunft.
Zurück in die Zukunft
Erfolgreich wirtschaften, ohne expandieren zu wollen. Von Menschen mit Köpfen voller Ideen, Herzen voller Leidenschaft und Händen voller Geschick tagtäglich dabei begleitet zu werden. In einem Klima voller Vertrauen und Wertschätzung. Und zufrieden auf die wunderschönen Unikate zu schauen, bevor sie sich – verpackt auf Paletten gestapelt – auf ihren Weg in die ganze Welt machen. Genau das will sich Benny Bolich bewahren. Dieses ganz besondere Gefühl, von dem auch Bertram Weiß schwärmt. „Wenn ich abends mit meiner Frau auf der Couch sitze – und wir entdecken im Fernsehen eine Leuchte, die ich selbst gemacht habe.“ Er hält kurz inne und seine Augen fangen an zu glänzen: „Da bin ich schon ein bisschen stolz.“ Und dann fühlt sich das alles ein wenig an wie eine Reise zurück in die Zukunft. In die Zukunft des elektrischen Lichts.
Die Reportage wurde in den Badischen Neuesten Nachrichten am 18. Dezember 2021 veröffentlicht.