Euer Projekt heißt „E-Traction The Trip“ – das Euch auf eine E-Bike-Weltreise in alle Kontinente der Erde bringen soll. Klingt einerseits nach ziemlich viel Abenteuer. Andererseits gibt es immer noch viele Menschen, die glauben, dass E-Bikes nicht die richtigen Räder für große Herausforderungen wie eine Weltreise sind.
Silvio: Einspruch! Bei mir zu Hause in der Schweiz ist dieses Image längst komplett überholt. E-Bikes sind hier trendy, stylish und sportlich.
Susanne: Ich kann mit einem E-Bike genauso an meine Grenzen gehen, nur liegen die woanders. Wenn ich mir überlege, wie fertig ich manchmal bin, wenn ich so meine 100 km durch die Berge gemacht habe, dann spricht das für sich.
Wer von euch hatte denn die Idee, mit dem E-Bike zum Globetrotter zu werden?
Susanne: Ich bin seit 23 Jahren in der E-Bike-Branche tätig – und es war immer mein Traum, die Welt zu bereisen. Als dann vor gut zehn Jahren die ersten E-Mountainbikes auf den Markt kamen, war mir schnell klar, das richtige Fahrzeug dafür gefunden zu haben. 2011 habe ich daraufhin Pedelec Adventures gegründet und bin losgezogen, zunächst mit Solaranhängern nach Marokko und in die Mongolei, habe Island und den Westen der USA mit dem Pedelec durchquert. Die Erfahrungen, die ich da gemacht habe, haben dazu geführt, das nächste Level erreichen zu wollen.
Das heißt?
Susanne: E-Traction The Trip ist eine Kombination aus E-Bike-Reisen und mobilem Leben. Wir arbeiten von unterwegs, haben unsere Wohnungen gekündigt und leben jetzt in unserem ausgebauten Adventure-Allrad-Truck, den wir Elefantino getauft haben. Daraus ist für uns ein Lebenskonzept entstanden, mit dem Ziel, alle sechs Kontinente zu bereisen. Dass Silvio vor dreieinhalb Jahren in mein Leben kam, war wie eine Initialzündung für diese Synergie.
Wie hat das Projekt dann konkret Fahrt aufgenommen?
Silvio: Wir haben einfach angefangen zu planen. Nur den Bau des Trucks zu begleiten war unglaublich zeitaufwendig, das war wahrscheinlich so kompliziert, wie ein Hausbau. Zudem haben wir natürlich viel organisieren, Räder und Material besorgen und Sponsoren finden müssen.
Und wann seid ihr schließlich aufgebrochen?
Susanne: Es war eigentlich völlig verrückt: Wir kamen im Februar 2020 von unserer Testfahrt aus Marokko zurück, und dann kam Corona mit Wucht. Wir sind zuerst einmal auf der Schwäbischen Alb zwei Monate lang im Lockdown stecken geblieben.
Nicht gerade der Traumstart für Weltreisende …
Susanne: … aber der Härtetest für ein Leben auf wenigen Quadratmetern im Elefantino! Im September 2020 sind wir schließlich losgefahren mit der Hoffnung, nach Marokko zu kommen. Aber natürlich mit Plan B, C, D und E im Hinterkopf.
Silvio: Und am Ende ist es Plan E geworden, auch weil uns südlich von Lissabon die Räder gestohlen wurden. An einer Stelle, wo wir nie im Leben daran geglaubt hätten. Wir waren geschockt, mussten aber kurz danach ohnehin einen Platz zum Überwintern suchen. Portugal war dabei, seine Grenzen zu schließen und wir haben uns entschlossen, den Winter dann in der Nähe von Cadiz zu verbringen, wo Freunde von uns leben.
Wie genau sah Eure Reise bis zum erneuten Corona-Lockdown aus?
Susanne: Ich bin von Paris bis über die Pyrenäen mit dem Rad gefahren, Silvio mit Elefantino. Das ist eines unserer Settings – einer fährt mit dem Bike, der andere mit dem Truck. So können wir gut Strecke machen und müssen nicht zum Ausgangspunkt zurück. Weitere Settings sind, dass wir beide mit dem Rad oder beide mit Elefantino unterwegs sind. Auf Letzteres haben wir dann in Nordspanien zurückgegriffen, um schneller ins Warme zu kommen. Es geht uns nicht darum, um jeden Preis jeden Meter mit dem Rad fahren. Sondern um eine gelungene Kombination aus all den Möglichkeiten, die wir haben.
Und wie teilt ihr euch auf?
Silvio: Bisher sitzt Susanne deutlich mehr auf dem Rad als ich. Aber es ist der Plan, dass wir uns abwechseln. Wir müssen unseren Rhythmus noch finden. Aber wenn ich meinen Bauchspeck anschaue, ist es dringend nötig, dass ich mehr Rad fahre.
Was konkret sind Eure nächsten Pläne?
Susanne: Im Moment freuen wir uns einfach, dass alles wieder nach und nach aufmacht, was unser Möglichkeiten natürlich deutlich erweitert. Deshalb wollen wir im Sommer wieder aufbrechen und haben derzeit Skandinavien im Visier.
Und wann geht’s auf andere Kontinente?
Silvio: Im Winter würden wir gerne nochmal Richtung Marokko. Und dann müssen wir schauen, wann es wieder möglich wird, Elefantino zu verschiffen. Die USA, Australien, Neuseeland oder Südafrika – Ziele in politisch stabile Regionen werden mit Sicherheit für uns wieder am schnellsten erreichbar sein.
Auf welches Material vertraut ihr denn bei eurer E-Bike-Weltreise?
Susanne: Auf unseren Testtrip in Marokko und von Paris bis Lissabon sind wir das neue Flaggschiff XF3 von HNF Nicolai mit Vollfederung, Doppelakku und Downhill-Geometrie gefahren, um es in verschiedenen Versionen für die Serienproduktion zu testen. Nach dem Diebstahl dieser Räder sind wir auf das serienmäßig gebaute XD3 von HNF Nicolai umgestiegen, um schneller an neue Speed-Pedelecs zu kommen.
Silvio: Der Starr-Rahmen des XD3 hat sich schlussendlich als besser fürs Reisen mit viel Gepäck erwiesen, da die Hinterradfederung des XF3 das Rad zum Schwingen bringt, wenn man viel Gewicht transportiert. Umgekehrt büßen wir natürlich ohne die Vollfederung Fahrkomfort und Geländegängigkeit ein. Bei der Akkukapazität ist bei beiden Modellen mit dem Doppelakku das Maximum verfügbar. Unser großer Vorteil ist aber: Elefantino hat das Dach voller Solarpanele. Dank einer großen Pufferbatterie haben wir bei gutem Wetter immer genügend Strom, um acht Fahrradakkus aufzuladen. Damit sind wir völlig autark unterwegs.
Wie weit kommt ihr mit einer Akkuladung?
Susanne: Die Doppelakkus haben eine Kapazität von 1125 Wattstunden. Die reichen für 80 bis 100 Kilometer im Turbomodus – je nach Terrain und Gepäck.
Hattet ihr schon mit Defekten oder Verschleiß Probleme?
Susanne: Wir fahren Rohloff-Getriebenaben mit Riemenantrieb von Gates und Boschmotor. Das ist ein ausgereiftes und so gut wie wartungsfreies Trio. Auf bislang 4500 Kilometer hatten wir noch keinerlei Stress damit. Mechanische Verschleißteile wie Bremsbeläge müssen wir natürlich ab und zu ersetzen.
Wie bereitet ihr euch darauf vor, wenn es mal in die entlegenen Regionen der Welt geht?
Silvio: Im Elefantino haben wir 330 Liter Wasser dabei und dank Solarenergie auch immer genügend Strom. Wir können drei Wochen autark leben, müssen aber sowohl für das Auto, als auch für die Räder alle nötigen Ersatzteile mitnehmen.
Susanne: Aber auch andere Dinge werden dann wichtig sein: Sim-Karten, die funktionieren, die richtige Versicherung und in bestimmten Ländern die nötigen Unterlagen für Ein- oder Durchreise.
Könnt ihr schon absehen, wann es soweit sein wird?
Silvio: Man muss natürlich ehrlich sein und sehen, dass die Corona-Situation viele Fragezeichen vor weitere Pläne gesetzt hat. Wir können eigentlich nichts konkret planen. Wie gestaltet sich Reisen jetzt gerade und auch nach Corona? Wann und wie wir rund um die Welt kommen, das ist einfach offen.
Habt ihr Angst davor, dass Corona euren großen Traum von der E-Bike-Weltreise noch platzen lässt?
Susanne: Einerseits war es schön zu erfahren, wie weit man in solchen Krisensituationen mit gesundem Menschenverstand und Freundlichkeit kommt. Andererseits hat uns Corona schon brutal ausgebremst. Das fordert Flexibilität, Zuversicht und die Bereitschaft, immer neue Lösungen zu finden.
Und wie geht ihr damit um?
Silvio: Unterm Strich dann doch ziemlich gelassen. Wir haben gelernt und wir haben uns daran gewöhnt, dass wir heute nicht wissen, was wir morgen tun.
Das Interview wurde im Magazin FOCUS E-BIKE REISEN, Ausgabe 1/2021 veröffentlicht.