Wenn ihr auf das Jahr 2020 zurückblickt, was geht euch da durch den Kopf?
Markus: Solche Szenarien hat man ja eigentlich nur aus dem Film gekannt – und die wurden plötzlich Realität. Ich glaube, es war auf der ganzen Welt niemand auf so etwas vorbereitet, was man ja nicht zuletzt am anfänglichen Umgang damit sieht. Aber wir haben nach der Schockstarre am Anfang relativ schnell gelernt, mit der Situation umzugehen. Und auch wenn sich ab Herbst die Situation wieder zugespitzt hat, gibt es mittlerweile ja auch eine gewisse Zuversicht.
Georg: Als es Realität wurde, dass wir fünf Betriebe mitten in der pulsierenden Wintersaison von heute auf morgen zusperren mussten und die Skisaison quasi von einem auf den anderen Tag vorbei war, konnten wir das nicht wirklich begreifen.
„Dass der Brenner geschlossen war, dass wir zwei Monate lang quasi nicht aus dem Haus durften – in so eine Situation zu kommen, konnten wir uns zuvor niemals vorstellen.“
Andreas Pichler
Markus: Zumal wir ein bis dahin unglaublich erfolgreiches Jahr hatten. Mit Schnee ohne Ende und nicht zuletzt auch der Eröffnung des Loox, das als Club in Obereggen vom ersten Tag an ein Magnet für Einheimische und Touristen war.
Wie seid ihr anfangs mit dieser Situation umgegangen?
Markus: Es ging zu schnell, um das sofort zu realisieren. Ich war zu Hause, hatte auf einmal Zeit für die Kinder, was einerseits sehr schön war. Und gleichzeitig habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie es weitergeht. Wir haben alle so wahnsinnig viel Leidenschaft in die Betriebe gesteckt – und hatten zuerst einmal natürlich Angst, dass Covid all das, was wir aufgebaut haben, zunichte macht. Aber wir sind dann zusammen ziemlich schnell zu der Erkenntnis gekommen, dass wir uns vorbereiten müssen auf das, was vor uns liegt.
Klaus: Das größte Problem für uns im Corona-Jahr 2020 war – und das ist es heute immer noch, dass wir eigentlich immer nur auf Sicht fliegen konnten und können. Entweder durften wir nicht öffnen – und wenn wir öffnen durften, war es unsere Hauptaufgabe, zu verhindern, einen Corona-Fall im Haus zu haben. Und natürlich mache ich mir dabei Sorgen um die Firma, unsere Familie und unsere Mitarbeiter.
Andreas: Wobei wir abgesehen vom operativen Bereich schon auch langfristig Weichen stellen konnten. Corona hat ja dazu geführt, dass wir in einer Situation waren, die wir uns zuvor nie vorstellen konnten: dass der Brenner geschlossen war, dass wir zwei Monate lang quasi nicht aus dem Haus durften.
Welche Weichen habt ihr gestellt?
Klaus: Wir haben den Kopf nicht in den Sand gesteckt – und trotz aller Planungsschwierigkeiten angefangen zu planen. Unsere Betriebe über den Sommer nicht aufzusperren, war für uns nie eine Option. Und im Rückblick auf den Sommer, der dann unterm Strich gut und problemlos gelaufen ist, war das auch gut und richtig so.
Georg: Das Gute in der Phase des ersten Lockdowns im März war, dass wir uns um Dinge gekümmert haben, die wir sonst vielleicht noch länger vor uns hergeschoben hätten. Wir haben viele technische Sachen umgesetzt und interne logistische Prozesse optimiert. Wir haben aber auch zum Beispiel alle Speisekarten digitalisiert oder digitale Zimmermappen im Hotel eingeführt. Nicht nur, weil das aus hygienischen Gründen erforderlich war, sondern weil sich ohnehin die Frage stellt, wer künftig noch gedruckte Speisekarten braucht. Wenn wir ein tagesaktuelles Gericht auf die Karte setzen wollen, haben wir das vorher in drei Sprachen ausdrucken müssen.
Markus: Wir hatten früher zehn Tageszeitungen ausliegen – und heute können unsere Gäste aus 400 digitalen Magazinen auswählen können, die sie auf dem Suitepad im Zimmer lesen können oder unterwegs auf dem Smartphone. Wenn zum Beispiel ein Gast aus Belgien kommt, kann er bei uns seine gewohnte belgische Tageszeitung lesen. Und für unseren Vater, war es mit 78 Jahren bislang unvorstellbar, eine Zeitung auf dem Tablet zu lesen. Mittlerweile ist es für ihn das normalste auf der ganzen Welt.
Was waren die größten Herausforderungen für Euch, als die Sommersaison losging?
Andreas: Ich muss zugeben, dass ich am Anfang dachte, dass Urlaub mit Maske schwierig werden würde. Aber die Realität hat gezeigt, dass ich mich getäuscht habe. Die Bereitschaft der Gäste, Verantwortung zu tragen und offen für Veränderungen zu sein, war riesig. Man hat gemerkt, dass sich Menschen auch schnell an neue Situationen gewöhnen.
Markus: Wir waren dabei aber auch extrem gefordert, alles so zu organisieren, ohne dabei das Wichtigste zu verlieren: die Gastlichkeit. Ohne Gastlichkeit ist ein Urlaubserlebnis nicht möglich. Die zentrale Frage war: Wie ist es möglich, Hygienekonzepte zu entwickeln, dabei auf körperliche Distanz zu gehen, ohne dabei emotionale Nähe zu verlieren?
Und wie ist euch das gelungen?
Markus: Indem alle auf beeindruckende Weise an einem Strang gezogen haben. Nicht nur wir in der Familie, sondern auch unsere festen Mitarbeiter, die wir alle trotz aller Schwierigkeiten an Bord halten konnten. Schwierig war ja nicht nur, unsere Abläufe auf die Covid-Situation umzustellen. Alle Betriebe nach dem Lockdown am gleichen Wochenende zu öffnen, war für uns vielmehr eine riesige organisatorische Herausforderung. Wie wir da als Team gearbeitet haben, war großartig. Dafür sind wir sehr dankbar.
Klaus: Was uns natürlich beflügelt hat, war dass wir schnell gemerkt haben, dass der Sommer besser als erwartet lief. Normalerweise müssen wir ja immer viel Aufwand betreiben, um neue Leute für uns und unsere wunderschöne Gegend zu gewinnen. Aber diesmal ging auf einmal alles ganz einfach. Es haben Leute bei uns gebucht, die sonst nie auf die Idee gekommen wären, bei uns Urlaub zu machen. Und vielen davon hat es so gut gefallen, dass sie bereits für 2021 wieder gebucht haben. So etwas hätten wir mit keiner Marketingaktion der Welt erreicht.
Waren das Leute, die sonst eine Fern- oder Flugreise gebucht hätten?
Georg: Nicht nur die. Sondern auch Leute, die sonst im Sommer eher ans Meer gehen, aber denen es wegen Corona dort einfach zu eng war, und die deshalb die Weite der Berge gesucht haben.
„Wir haben eine riesige Chance, uns zum Thema Nachhaltigkeit zu positionieren und zu profilieren.“
Klaus Pichler
Markus: Wir hatten in diesem Jahr auch außergewöhnlich viele italienische Urlauber, weil in Europa am Ende doch viele Urlaub im eigenen Land gemacht haben. Und unsere Stammgäste aus Deutschland oder anderen europäischen Ländern, die im Sommer kamen, hatten das gute Gefühl, mit dem Auto in ein paar Stunden wieder daheim zu sein, falls etwas Außergewöhnliches passiert wäre.
Wenn sich der Trend weg von Flug- und Fernreisen hin zu naturnahem Urlaub in den Bergen weiter verlagern sollte – was bedeutet das für euch?
Klaus: Wir haben eine riesige Chance, uns zum Thema Nachhaltigkeit zu positionieren und zu profilieren. Die Region muss da natürlich die Rahmenbedingungen setzen, aber wir müssen unseren Teil dazu beitragen. Auf den Brenner-Basistunnel zum Beispiel setze ich große Hoffnungen: In zwei Stunden von München nach Bozen zu kommen, ist sensationell und unschlagbar.
Markus: Zumal es kein angenehmeres Reisen gibt als mit dem Zug. Für mich ist auch klar, dass sich einige Bereiche im Tourismus extrem durch Covid verändern werden. Das Flugbusiness zum Beispiel. Oder die Kreuzfahrtbranche.
Andreas: Umso mehr müssen wir die Vision eines autofreien Urlaubs verfolgen. Mit dem Zug nach Bozen, ohne Komforteinbußen mit einem umweltfreundlichen Shuttleservice mobil sein – das kann ich mir gut vorstellen.
Die Mobilitätswende aktiv mitzugestalten – wird das eine der größten Aufgaben einer nachhaltigen Tourismusregion sein?
Andreas: Wenn uns Corona doch etwas gezeigt hat, dann dass wir Dinge bei einer konkreten Bedrohung erreichen können, die wir uns nie vorstellen konnten. Und wenn wir beim Thema Klimawandel gegensteuern wollen, müssen wir eben auch konsequent handeln. Wir müssen entschlossen konkret etwas verändern – und das ist in vielen Punkten wirklich einfach.
Klaus: Und klar ist auch, dass sich bei der Verkehrssituation etwas ändern muss. Der Platz bei uns ist begrenzt, weshalb wir darauf achten müssen, dass es nicht immer mehr Autos auf den Straßen gibt. Ich bin selbst leidenschaftlicher Autofahrer – aber natürlich störe ich mich auch daran, wenn unsere Wahnsinnsaussicht durch dröhnende Motoren gestört wird. Gleichzeitig ärgere ich mich – obwohl ich auch Radsportler bin – auch über Rennradfahrer, die nebeneinander fahren, und an denen ich deshalb mit dem Auto nicht vorbeikomme. Eigentlich ist es ganz einfach: Wir brauchen ein Klima des Miteinanders und müssen aufeinander Rücksicht nehmen. Nirgends hat man so viel Raum wie in den Bergen. Und Menschen suchen Ruhe und Entspannung bei uns. Wir müssen einerseits ein Erlebnis bieten, aber auch das schützen, was wir rundherum haben.
„Wir arbeiten an Ideen, wie wir arbeiten und trotz allem Spaß haben können.“
Markus Pichler
Andreas: Aber manche Probleme kann man auch an der Wurzel angehen: Viele Urlauber suchen in den Bergen die Ruhe und fühlen sich im Sommer zum Beispiel von Motorradlärm gestört. Die Lösung dafür ist dann ja eigentlich ziemlich einfach. Man darf den Leuten nicht ihren Spaß verbieten, aber man muss das Lärmproblem in den Griff kriegen. Elektroantriebe könnten uns da große Schritte voranbringen.
Georg: Ich finde wichtig, dass wir auch in emotional aufwühlenden Zeiten wie gerade, nicht den klaren Blick für die Zukunft verlieren. Und die Perspektiven unserer Destination werden riesig sein, wenn wir auf Nachhaltigkeit und naturnahen Tourismus setzen.
Markus: Nachhaltig zu leben sind wir ja auch unseren Kindern und unserer Natur schuldig. Wir müssen aber auch nicht jedes Detail, das wir in unseren Betrieben umsetzen, zur Schau stellen, wie es in vielen Betrieben gemacht wird. Wir müssen das einfach nur leben.
Kann die Pandemie den Weg zu einem neuen Bewusstsein sogar beschleunigen? Nicht nur in Bezug zu Nachhaltigkeit sondern auch in Bezug zu mehr Achtsamkeit?
Klaus: Ich glaube, dass viele von uns die Situation kennen, wie unter der Arbeit das Privatleben leiden kann. Wie wichtig Gesundheit ist, wird einem ja gerade während einer gesundheitlichen Bedrohung jeden Tag vor Augen geführt. Und meine Tochter war mit Sicherheit die Gewinnerin des ersten Lockdowns im Frühjahr. Ich habe zwei Mal am Tag gekocht, wir saßen drei Mal am Tag zusammen am Tisch, ich war jeden Tag mit ihr zwei Stunden am Hotel und habe gearbeitet, den Garten gepflegt, Flieder geschnitten. Wann habe ich das letzte Mal Flieder geschnitten?
Andreas: Wir haben uns immer etwas Sinnvolles einfallen lassen, sind Trampolin gesprungen, hatten viel Zeit und Spaß miteinander. Insofern war die Zeit eigentlich sogar energiebringend.
Georg: Wir haben extrem viel gekocht zu Hause, manchmal hat sich einer ein Menü ausgedacht. Wann haben wir mal Zeit, zusammen ein Menü zu kochen. Und wir waren viel im Garten, haben so früh gegrillt wie noch nie – weil das Frühjahr außergewöhnlich schön war.
„Wir müssen herausfinden, was die Bedürfnisse unserer Gäste sind. Ob sie nach Corona mehr feiern wollen als je zuvor oder ob sie möglicherweise Respekt vor zu viel Nähe haben werden.“
Georg Pichler
Markus: Aber irgendwie war die Situation auch paradox. Einerseits hatten wir alle viel Zeit für die Kinder und die Familie, andererseits haben wir so viel gearbeitet wie noch nie – nicht im Betrieb, sondern am Betrieb. Alle Planungen waren ja über den Haufen geworfen, und wir mussten viele Dinge neu denken. Paradox war auch, dass wir uns in der Familie während des Lockdowns praktisch nicht treffen konnten. Trotzdem hat die Situation uns noch mehr zusammengeschweißt. Uns war schnell klar: Alles, was wir jetzt tun, darf nicht sein, um Corona gegenzusteuern. Sondern alles muss zukunftsfähig sein und nach Corona noch Bestand haben.
Hat euch der familiäre Zusammenhalt geholfen, über emotional schwierige Situationen hinwegzukommen? Gerade das frisch eröffnete Loox, das vom ersten Tag äußerst erfolgreich war, wieder schließen zu müssen, muss extrem geschmerzt haben.
Markus: Was soll ich dazu sagen? Es ist halt so. Das Loox in der Form wie wir es uns gedacht haben, gab es letzten Winter nur ein paar Wochen. Es gab es im Sommer nicht. Und es wird es auch in diesem Winter nicht geben. Aber wir haben eine perfekte Struktur und ein wunderschönes Lokal. Das gar nicht zu öffnen tut am meisten weh. Deswegen arbeiten wir an Ideen, wie wir darin arbeiten können und damit trotz allem Spaß haben können. Und dass wir wieder öffnen können, sobald das möglich ist. Das anders sein als gedacht, ruhiger. Und immer noch etwas Besonderes. Trotzdem treibt es mir natürlich die Tränen in die Augen, wie ich daran denke, wie intensiv die ersten Wochen und Monate waren. Und wie viele Menschen es gab, die das Loox vom ersten Tag an ins Herz geschlossen haben.
Klaus: Dass wir große Herausforderungen meistern können, haben wir ja auch 2020 gezeigt. Wahrscheinlich hat kaum jemand daran geglaubt, dass die Eggentaler Herbst Classic letzten Oktober stattfinden kann. Und am Ende war es für alle Teilnehmer eine großartige Veranstaltung. Mit Corona-Schnelltests für alle Beteiligten. Und ein Stück weit anders als in den vergangenen Jahren. Aber trotzdem intensiv. Ich glaube, wir haben damit Maßstäbe gesetzt, wie man solche Events auch in schwierigen Zeiten erfolgreich organisieren kann.
Aber kurz danach hat sich die Corona-Lage in ganz Europa wieder dramatisch zugespitzt.
Markus: Wir sind trotzdem vorbereitet. Und wir werden öffnen, sobald das wieder möglich ist. Dass wir das können – und die Sicherheit und Gesundheit unserer Gäste und Mitarbeiter an oberster Stelle steht, haben wir schon bewiesen.
Georg: Wir müssen aber auch herausfinden, was künftig die Bedürfnisse unserer Gäste sind. Ob sie nach Corona mehr feiern wollen als je zuvor oder ob sie möglicherweise Respekt vor zu viel Nähe haben werden.
Andreas: Ich bin überzeugt davon, dass wir Corona in absehbarer Zeit in den Griff bekommen – und denke deshalb nicht, dass das langfristig spürbare Auswirkungen auf unser Zusammenleben haben wird. Menschen haben einfach das Bedürfnis, sich nahe zu sein.
Was sind Eure Erwartungen von 2021?
Markus: Wir hoffen natürlich, dass sich die Situation schrittweise verbessert und wir schnellstmöglich wieder viel von der Normalität zurück haben, nach der wir uns alle sehnen. Und wenn wir uns die guten Seiten beibehalten – nämlich aufeinander zu achten und Rücksicht zu nehmen, sehe ich zuversichtlich in die Zukunft.
Georg: Ich kann es kaum erwarten, bis die ersten Gäste wieder zu uns kommen. Wir haben derzeit so viel Schnee wie schon lange nicht mehr – alles ist perfekt vorbereitet. Und dann draußen zu sein – und niemanden zu sehen, ist herzzerreißend.
Andreas: Das tut wirklich am meisten weh, wenn man sich denkt: Wie schön könnte es jetzt sein.
Klaus: Wir sind Gastgeber aus Leidenschaft. Aber das, was gerade schmerzt, ist ja auch unsere große Chance. Eine Immobilie, ein Hotel, eine Hütte sind austauschbar, aber die Menschen dahinter nicht. Ein persönliches Erlebnis oder eine persönliche Empfehlung kann niemand ersetzen. Das ist tausend Mal mehr wert als eine Bewertung bei Trip Advisor oder ähnlichen Plattformen. Persönlichkeit ist das Wichtigste in der Gastronomie. Und diese werden wir weiter verkörpern. Die Weichen richtig stellen. Und unsere Hausaufgaben machen. Dann können wir uns wirklich auf die Zukunft freuen.
Das Interview wurde auf der Website des Hotels Ganischgerhof veröffentlicht.