Wenn man auf Mallorca jedes Jahr Zehntausenden von Radfahrern die schönsten Tage des Jahres bescheren kann, hört sich das an wie ein Traumjob. Du bist ja aber auch selbst leidenschaftlicher Radfahrer. Wann hat sich diese Leidenschaft denn entfacht?

Mein Vorgesetzter in meiner Lehrzeit war Radsportler, und das hat mich damals inspiriert. Meine Eltern hatten mich vor die Wahl gestellt, dass ich entweder ein Mofa oder ein Fahrrad haben könnte, um den sechs Kilometer langen Weg zur Lehre zu bewältigen. Sie waren ziemlich erstaunt, dass ich mich fürs Fahrrad entschieden habe. An einem Wochenende hat mich mein Vorgesetzter dann mal mitgenommen – ich war der einzige in Jeans, alle anderen kamen in Radklamotten. Und das hat schließlich dazu geführt, dass ich mir mit 16 Jahren mein erstes Rennrad gekauft habe, wofür natürlich mein ganzes Taschengeld draufgegangen ist.

War das dann der Anfang einer großen Rennfahrerkarriere?

Ich bin dann tatsächlich ein paar kleinere Rennen gefahren und hatte den Ehrgeiz, vorne dabei zu sein, bin morgens um 6 Uhr aufgestanden, um vor der Arbeit zu trainieren. Man kann schon sagen, dass das eine Zeit lang meine große Leidenschaft war. Allerdings habe ich, nachdem ich meine Frau kennengelernt habe, die Rennradschuhe komplett an den Nagel gehängt und bin fünf Jahre lang nicht ein einziges Mal mehr auf dem Rad gesessen.

Und was war der Anlass für dich, wieder mit dem Radsport zu beginnen?

1988 habe ich bei der Bürgermeisterwahl in Bad Zurzach kandidiert. Und ich habe am Wahlabend, als ich noch nicht wusste, dass ich gewählt worden bin, mir selbst versprochen: Wenn ich einen zusätzlichen Job habe – Bürgermeister ist ein Nebenamt in der Schweiz – dann brauche ich einen sportlichen Ausgleich. Ich bin an diesem Abend die ersten 30 Radkilometer nach fünf Jahren gefahren, war völlig kaputt, aber glücklich. Und als ich dann erfahren habe, dass ich gewählt wurde, konnte ich guten Gewissens und mit guten sportlichen Vorsätzen die Wahl annehmen. Und eine Woche später habe ich mich gleich fürs Frühjahr 1989 bei Max Hürzeler für die Radsportferien angemeldet.

„Ob Max Hürzeler mich gewählt hat, weiß ich nicht.“

Kanntet ihr euch damals schon persönlich?

Max Hürzeler war ein Bürger von Bad Zurzach …

…hat er dich auch gewählt?

Das weiß ich nicht (lacht), ich weiß aber, dass ich etwas enttäuscht war, weil ich ihm 1987 gerne beim Empfang den Blumenstrauß überreicht hätte, nachdem er Weltmeister geworden war. Aber das hat damals natürlich mein Vorgänger als Bürgermeister erledigt.

Aber 1989 habt ihr euch dann auf Mallorca kennengelernt.

Ein Werbeplakat von 1991
Die Anfangszeiten von Hürzeler auf Mallorca. Marcel Iseli hat die Entwicklung der Firma mittlerweile über mehr als drei Jahrzehnte begleitet Hürzeler Bicycle Holidays

Ja, tatsächlich erst dort. Und Max war natürlich etwas aufgeregt, weil plötzlich der Bürgermeister seiner Heimatgemeinde bei ihm zu Gast war. Aber ich habe ihm schnell gesagt, dass ich nicht als Bürgermeister, sondern als Tourist da bin. Sein Interesse an mir hat dann wieder ein bisschen nachgelassen (lacht).

Wie kam es dazu, dass sich aus deinem ersten Aufenthalt als Tourist eine so lange Partnerschaft entwickelte?

Max hat 1986 angefangen, Radsportferien auf Mallorca zu organisieren – und alles war damals natürlich noch im Aufbau. Aber wir haben uns von Beginn an geschätzt und respektiert – was dazu führte, dass ich 1990, gleich in meinem zweiten Jahr auf Mallorca, angefangen habe, Gruppen zu führen. Und auch in den Jahren darauf habe ich quasi alles, was ich an Freizeit hatte, dafür investiert, um für Max auf Mallorca als Guide tätig zu sein. Das waren immer so zwei bis drei Wochen. Und zusätzlich bei den Fernfahrten von Barcelona in die Schweiz, jeweils am Ende der Radsportferien, wo dann das ganze Material zurück in die Schweiz gebracht werden musste.

„Ich war einer der größten Fans dieser Radsportferien“

Dann hast du sozusagen die Entwicklung der Firma Bicycle Holidays Max Hürzeler fast von Anfang an ständig begleitet.

Ja, und vor allem war ich sehr, sehr angetan von dem, was Max aufgebaut hat und war damals sicherlich einer der größten Fans dieser Radsportferien.

Wann ist denn die Idee bei dir gereift, mit Max über eine intensivere Zusammenarbeit zu reden?

Es war anfänglich nie das Ziel. Ich war der glücklichste Mensch in meinem Beruf und in der Politik. Und trotzdem habe ich mir gesagt: Ich will, bis ich 50 bin, nochmal etwas ändern in meinem Leben, ich brauche auch noch weitere Herausforderungen. Aber ich hatte da nicht Max Hürzeler ganz oben auf der Liste, sondern eigentlich einige andere Optionen. Aber das Gespräch mit Max hat sich dann eben einfach irgendwann mal ergeben. Vor allem auch deshalb, weil ich bereits in Absprache mit Max meine eigene Firma Iseli Radsport gegründet hatte, die sich auf die Organisation von Rund- und Fernfahrten – damals alle noch in Europa – spezialisiert hatte. Man kann also sagen, dass mich die Leidenschaft zum Radsport Jahr für Jahr mehr erfasst hat. Allerdings nicht mehr im Rennsportbereich wie früher, sondern im Ausdauer- und Tourenbereich.

Was hat sich geändert, nachdem du zusammen mit Walter Güntensperger 2005 die Firma von Max Hürzeler übernommen hast?

Die Entwicklung bis dahin war ja schon eine riesige Erfolgsgeschichte. Aber Max wollte sich aus dem Tagesgeschäft zurückziehen und wir waren uns einig, dass wir den nächsten Schritt machen müssen, um uns für die Zukunft aufzustellen und weiter zu expandieren. Wir hatten damals 1000 Mieträder, heute sind es um die 5000. Wir haben das Hotelangebot erweitert, die Anzahl der Radstationen von drei auf 13 ausgebaut. 

„Wir haben sehr schnell gesehen, dass wir proaktiv werden müssen.“

Und 2020 hat dann Corona jahrelanges Fahren auf der Überholspur von heute auf morgen mit einer Vollbremsung gestoppt. Was hat das für euch bedeutet?

Ich verstehe es nicht als Vollbremsung, obwohl es natürlich eine war. Aber viel wichtiger für mich war das Erwachen danach. Wir haben sehr, sehr schnell gesehen, dass wir proaktiv werden müssen. Dass wir etwas in die Hand nehmen müssen. Dass wir etwas tun müssen.

Was war das genau?

Wir haben ein Kernteam gebildet. Wir haben erkannt, wie wichtig es ist, dass wir als Team zusammenkommen, dass wir gemeinsam überlegen, wie wir welche Art von Geschäft beleben können. Wir haben unseren Onlineshop im Bekleidungsbereich offensiv weiterentwickelt und beworben. Das hat dazu geführt, dass unsere treuen Gäste das 2020er-Trikot gekauft haben, obwohl sie ihre Reise zu uns gar nicht antreten konnten. Aber sie wollten uns unterstützen und haben uns teilweise unglaublich motivierende Nachrichten geschrieben. Wir haben aber auch sehr viele Räder verkauft. Normalerweise wäre der Abverkauf der Räder Ende der Saison gewesen. Aber wir haben ihn einfach vorgezogen, und das kleine Team hat das bravourös und mit viel Engagement gemeistert. Corona hat uns gezeigt, dass es kein Wundenlecken geben darf. Wir sind im Karussell wie der ganze Rest der Welt – und wir müssen das Beste aus der Situation machen. Max Hürzeler hat schon von Beginn dieses ganz besondere Hürzeler-Feeling in seinem Team etabliert. Und gerade in solchen schwierigen Zeiten hat sich gezeigt, dass dieses Feeling von uns allen weiter gelebt wird.

Ein Kernteam einer erfolgreichen Firma kann eine Krise natürlich auch als Chance nutzen. Aber im Tourismusbereich auf Mallorca hat die Krise zu existenziellen Sorgen gerade bei Einheimischen geführt.

Was da passiert, ist eine schwere Katastrophe. Vor allem, weil nullkommanull Planungssicherheit besteht. Alles, was wir heute diskutieren, kann morgen schon hinfällig sein. Niemand weiß, wann sich der Tourismus auf Mallorca wieder normalisiert, niemand weiß, wie es weitergeht. Und jemand, der jetzt auf Mallorca arbeitslos wurde, und von 1000 Euro im Monat leben muss, weiß jetzt schon nicht, wie er seine Miete bezahlen soll und muss schauen, dass er am Ende des Monates noch ein Stück Brot auf dem Teller hat.

„Ich bin überzeugt, dass man mit Besserwisserei und Schwarzmalerei keinen Schritt weiterkommt.“

Trotz solcher Dramen hast du immer die Fassung bewahrt, vor allem Haltung gezeigt, und auf Facebook oder Instagram Respekt vor politischen Entscheidungen eingefordert.

Wenn du in der Politik eine Entscheidung triffst, hast du immer Hunderte, die es besser wissen. Wenn die aber selbst entscheiden müssten, hätten sie genau dasselbe Problem. Ich habe das hautnah als Bürgermeister erfahren, als ich am Anfang glaubte, alles besser machen zu können. Man merkt dann aber ziemlich schnell, dass es auch Grenzen dafür gibt. Ich bin überzeugt davon, dass man mit Besserwisserei und Schwarzmalerei keinen Schritt weiterkommt. Wie sollen wir denn so gemeinsam eine gute Zukunft gestalten?

Ist dir so eine klare Sicht – vor allem als Geschäftsmann – manchmal auch schwer gefallen?

Für mich ist das jetzt nicht die Zeit zu Jammern – vor allem nicht für einen Geschäftsmann. Wir können eine solche weltweite Krise nur mit solidarischem Handeln bewältigen. Natürlich ist uns in kurzer Zeit viel weggebrochen. Aber wir hatten davor auch viele gute Geschäftsjahre. Und wir haben auch eine Verantwortung unseren Mitarbeitern gegenüber – deshalb müssen wir nach vorne schauen und ihnen wieder eine Perspektive bieten. Wenn wir uns darum kümmern, dann werden wir auch wieder eine gute Zukunft haben.

Was macht dich dabei so zuversichtlich?

Dass sich die Leute eines nicht nehmen lassen werden: ihren Urlaub! Außerdem bin ich davon überzeugt, dass das Thema Fahrrad in den nächsten Jahren weiter boomen wird. Es werden Räder verkauft wie nie zuvor.

„Mallorca hat kulturell, kulinarisch und landschaftlich alles zu bieten.“

Und was macht dich für Mallorca zuversichtlich?

Die Insel ist ja nicht zu Unrecht eines der beliebtesten Reiseziele überhaupt. Wer die schöne Seiten des Lebens sucht, hat hier unglaublich vieles zu entdecken. Mallorca hat kulturell, kulinarisch und landschaftlich alles zu bieten.

Dennoch zieht es dich auch immer wieder weg von der Insel. Gerade warst du auf dem Jakobsweg unterwegs – und das ausnahmsweise mal zu Fuß. Was hat dich dazu veranlasst?

Ich kann das nicht so einfach beantworten. Ich war schon vor einigen Jahren mit dem Rennrad von der Schweiz aus über Bordeaux und dann auf der Route des Pilgerwegs unterwegs. Ein zweites Mal bin ich nur fünf Monate nach der Operation meines Beines nach meinem schweren Radunfall von Madrid nach Santiago de Compostela gefahren und dann weiter nach Cadiz. Das war damals eine Riesentortur, aber ich wollte das nach der schweren Operation einfach machen. Damals habe ich die Pilger gesehen und zu mir selbst gesagt: das ist etwas, was ich mir einmal wünsche. Ich möchte das mal zu Fuß gehen. Und bei all den negativen Begleiterscheinungen von Corona: Dadurch, dass wir alle Fernfahrten absagen mussten, ergab sich die Gelegenheit: Jetzt oder nie!

Gruppenleiter Marcel Iseli gibt Anweisungen vor dem Start.
Eine der großen Leidenschaften von Marcel Iseli: Mit Gleichgesinnten Länder, Menschen und Landschaften zu erkunden. Jens Vögele I 360°-Kommunikation

Was waren die besonderen Erlebnisse dabei?

Wir sind zu dritt gegangen. Und wir haben anfangs gedacht, dass wir ja genügend Themen haben, aber das war nicht so. Du läufst für dich. Du verarbeitest im Kopf so viele Sachen, und jeder ruht dabei in sich. Neben der Freundlichkeit der Leute und der riesigen Kameradschaft unter den Pilgern hat es mir persönlich unendlich gut getan, mal Abstand vom Alltag zu gewinnen. Und nicht schauen zu müssen, ob alle Gäste gut angekommen sind oder mich darum kümmern zu müssen, wenn einer mal das Ladekabel vom Handy verloren hat. Von all dem war ich auf einmal befreit. Es war traumhaft. Und wenn ich morgen wieder losgehen könnte – ich würde es sofort wieder tun.

„Mit dem Fahrrad Länder zu bereisen, ist einfach die schönste und intensivste Form des Reisens.“

Wahrscheinlicher ist aber, dass du demnächst wieder einzigartige Fernfahrten organisieren wirst …

Definitiv! Mit dem Fahrrad Länder zu bereisen, ist einfach die schönste und intensivste Form des Reisens. Eine Gegend musst du riechen können. Mit den Menschen musst du sprechen können. Und das menschliche Auge muss die Millionen von Bildern auch verarbeiten können. Diese drei Elemente sind für mich immens wichtig – und das geht beim Radfahren eben mit Abstand am besten. Und solche Erinnerungen prägen sich auch ein und bleiben! Ich könnte heute noch beschreiben, wie es gerochen hat, als ich das allererste Mal mit dem Rad an die Ostsee gefahren bin.

Was waren deine intensivsten Erlebnisse bei Fernfahrten?

Das waren sicherlich die beiden ganz langen Reisen von Moskau nach Peking und von St. Petersburg nach Wladiwostok – alleine was den organisatorischen Aufwand betrifft. Aber auch die vielen Tage auf dem Rad dort waren einzigartig – vor allem deshalb, weil die Herzlichkeit der Menschen jegliche Bedenken, in diese Länder zu reisen, übertrumpft hat. Ich würde jederzeit wieder in jede Gegend des Ostens reisen.

Und was sind deine Pläne für die nahe Zukunft?

2021 wollen wir von Kopenhagen ans Nordkap, dann rüber nach Murmansk und dann nach Sotschi. Nächstes Jahr werde ich auch das zehnte Mal in Kuba sein – das ist immer faszinierend, genauso wie Thailand.

Ein Mann trägt einen Eimer durch eine Straße. Auf ihn fährt eine Gruppe Rennradfahrer zu.
Ein Traum von Marcel Iseli: Das zehnte Mal Kuba zu bereisen. Jens Vögele I 360°-Kommunikation

Kannst du dir vorstellen, mal einen Gang zurückzuschalten und irgendwann mal deine freie Zeit im Liegestuhl in der mallorquinischen Sonne zu genießen?

Ich habe schon bei meiner Verabschiedung als als Bürgermeister zwei Liegestühle geschenkt bekommen. Die sind heute noch in der Verpackung. Liegestühle passen irgendwie nicht in mein Leben.

Das Interview wurde auf der Website von Hürzeler – Das Radsporterlebnis veröffentlicht.