Es war der innere Antrieb, etwas Außergewöhnliches zu schaffen.“ Harald Wohlfahrt behauptet, dass er seinen Ruhm gar nicht geplant habe. Wichtig für ihn sei lediglich, gute Zutaten zu veredeln. Und dennoch ist Wohlfahrt damit zum erfolgreichsten und bekanntesten Koch Deutschlands geworden. Und ein Glücksfall für Baiersbronn. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die Schwarzwaldgemeinde zur Gourmethauptstadt entwickelt hat. Acht Michelin-Sterne auf knapp 15 000 Einwohner – so eine Quote muss man wohl landauf, landab lange suchen.
Vom Feinsten sind hier aber auch die Zutaten für Rennradfahrer. Fordernde Anstiege, traumhafte Ausblicke, verkehrsarme Straßen. Und ein weitläufiges Terrain. Man mag es kaum glauben, aber Baiersbronn ist die zweitgrößte Gemeinde Baden-Württembergs – was die Fläche betrifft. Nur die Landeshauptstadt Stuttgarts ist noch größer. In diesen knapp 190 Quadratkilometern ist Profi-Triathletin Laura Zimmermann heimisch geworden, die 2019 ihr Langstreckendebüt in Barcelona mit einem aufsehenerregenden zweiten Platz feierte.
„Die einzige Schwierigkeit hier ist“, sagt Laura augenzwinkernd, „wenn man auch mal locker fahren will.“ Wobei das Murgtal mit seinem beliebtem Radweg eigentlich ein Traum für Genussradler ist. Die Zutaten in der Gegend hier im Nordschwarzwald lassen sich aber nur veredeln, wenn man sich von der Flussradweg-Fraktion entfernt, die sich aus Rennrad-Perspektive dann doch eher mit biederer Haumsmannskost zufrieden gibt.
Die Vorspeise
Ein aufsehenerregender Appetizer ist gleich mal der Abstecher zur Nagoldtalsperre, der in typische Schwarzwaldidylle entführt. An heißen Sommertagen herrscht an dem Stausee zwar einiger von Wassersportlern verursachter Trubel – aber auf schmalen Reifen lässt sich schon mal ganz gut spüren, was das Revier hier alles bietet. Malerisch liegt der fast drei Kilometer lange Stausee im Wald, hat aber das Potenzial, eine gigantische Kraft zu entfalten. Bis zu 275 Kilowatt an Leistung kann die Turbine im Wasserkraftwerk erzeugen – nur ein klitzekleiner Bruchteil davon wäre für Rennradfahrer hie und da aber schon mal hilfreich, damit landwirtschaftlicher Genuss nicht durch den Schmerz steiler Rampen flöten geht.
Es ist aber genau diese gegensätzliche Vielseitigkeit, die Laura neben der Weite der Landschaft zu schätzen weiß: „Man kann hier perfekt die Gegend erkunden“ – und immer wieder nahezu vollkommen weg vom Verkehr kommen.“ 2016 ist Laura, die im Allgäu aufgewachsen ist, nach Baiersbronn gezogen. Der Liebe wegen. Ihr Freund Florian hat in der Gegend einen Job gefunden – und wenn es Lauras Trainingsplan ermöglicht, sind die beiden regelmäßig auf Trainingstour. Und wissen den Baiersbronner Way of Life durchaus zu genießen. „Gut essen und Leistungssport passen ziemlich gut zusammen“, sagt Laura. Beide kochen gerne – mit frischen und regionalen Produkten, aber sie lassen sich’s auch mal gut gehen. Der Seidtenhof zum Beispiel, ein traditionsreicher Schwarzwaldbauernhof, eignet sich ideal, um eine Rennradtour ausklingen zu lassen – mit einem selbstgemachten Weltklasseeis aus der Selbstbedienungs-Gefriertruhe zu genießen.
Das Zwischengericht
Das genaue Gegenteil zur Einsamkeit am Seidtenhof befindet sich gut 500 Höhenmeter weiter oben, wo der Mummelsee zum Rummelplatz des Schwarzwaldes mutiert ist – und zur die Pilgerstätte des gemeinen Touristen. Aussteigen, mal um den See spazieren. Kännchen Kaffee. Kuckucksuhr. Weil die Touristenscharen aber hauptsächlich das Wochenende nutzen, ist die Anfahrt auf der B 500, der Schwarzwaldhochstraße unter der Woche mit dem Rennrad ein ziemlich verkehrsarme Angelegenheit – und deshalb ein Hochgenuss. „Die Aussicht ist immer wieder der Hammer“, schwärmt Laura.
Auf dem Weg zur Hornisgrinde lässt sich dies aber noch steigern. Der höchste Berg des Nordschwarzwaldes erinnert mit seinem markanten Sendeturm bisweilen an den Mont Ventoux – ist allerdings deutlich weniger schweißtreibend zu erreichen. Keine 150 Höhenmeter führt die Stichstraße auf den Gipfel, autofrei. Und von der Grindehütte aus lässt es sich entspannt auf den Trubel am Mummelsee, auf das beeindruckende Schwarzwaldpanorama sowie in die Rheinebene herabblicken. Panorama-Gourmets machen übrigens auf dem Rückweg über den Kniebis einen kurzen Abstecher zum Ellbachseeblick. Zwar muss man dort ein paar Minuten über Schotter schieben, aber die Aussichtsplattform ist der Selfie-Spot schlechthin – auch weil der See Drehort für einen mysteriösen Schwarzwald-Krimi war, für den er jedoch in „Elfensee“ umbenannt wurde.
Der Hauptgang
Wer sich an Höhenmeter aber nicht satt essen kann, muss sich in Richtung Rheinebene orientieren, wohin die Schwarzwaldberge steil abfallen. Hart sind deswegen die Anstiege zurück auf die Höhen des Mittelgebirges. „Sa Calobra des Südwestens“ heißt unter Kennern etwa die Oppenauer Steige, die über 700 gnadenlose Höhenmeter zur Zuflucht auf die Schwarzwaldhochstraße führt. Die Landschaft allerdings erinnert nur wenig an Mallorca. Vielmehr verleihen die Weingärten an den Hängen über der Rheinebene dieser Gegend nochmal einen ganz eigenen Charakter.
Eine Besonderheit hier: Schnapsbrunnen. Vor allem Wanderer tanken hier Kirschwasser, Liköre oder auch Bier zu günstigen Selbstbedienungspreisen. Andere Zielgruppen sind hier aber auch auf der Suche nach Zielwasser, weshalb die Pullen über Nacht vorsichtshalber ausgeräumt werden. „Radfahrer und Leistungssportler bleiben hier eher selten stehen“, sagt Laura lachend. Dennoch weiß sie gerade diese Gegend sehr zu schätzen. Ursprüngliche Höfe säumen die idyllischen Straßen, das Panorama beflügelt müde Muskeln – und die Belohnung wartet am Ziel. Schwarzwälder Kirsch gibt’s dann nicht als Wasser, sondern als Torte: im Nuna. Eine Kaffeerösterei, bei der es extrem leckeren Kuchen gibt. Und von der Inhaber Balint Szabo ein wenig selbstironisch behauptet, man sei dort „beim zukünftigen Weltmeister im Kaffee rösten“ zu Gast.
Das Dessert
Jedenfalls zeichnet Balint eine gewisse Zielstrebigkeit aus, womit er neben der Liebe zum Kaffee eine Gemeinsamkeit mit Laura hat. Ihr Ziel ist, in naher Zukunft „konkurrenzfähig in Hawaii am Start zu stehen“. Sie will hart dafür trainieren, aber auch das Leben genießen. In der Off-Season mal entspannt aufs Mountainbike steigen. Über die vielen asphaltierten Wirtschaftswege cruisen und die Ausblicke auf die Weite Baiersbronns aufsaugen. Oder es sich nach einem Wettkampf zusammen mit Florian im Forellenhof Buhlbach gut gehen lassen.
Zwar führt von dort aus eine komplett autofreie wunderschöne Straße in Richtung Kniebis hinauf. Für frisch zubereitete Forellen vom Becken nebenan lässt sich das aber auch mal vergessen. Der Forellenhof Buhlbach gehört übrigens zum Hotel Bareiss, das das zweite Drei-Sterne-Restaurant in Baiersbronn betreibt. Dessen Küchenchef Claus-Peter Lumpp sagt: „Der Geschmack steht über allem.“ Besser kann man Baiersbronn auch als Rennradrevier nicht charakterisieren.
Die Reportage wurde im Magazin ROADBIKE, Ausgabe 1/2021, veröffentlicht.