Er gehört zur Hochrisikogruppe und hat alles dafür getan, sich vor Corona zu schützen. Vergeblich. Aber dass das Virus an diesem Körper scheitern wird, war eigentlich klar. An einem Körper, der sich offenbar niemals geschlagen gibt: Elmar Sprink lebt seit acht Jahren mit einem Spenderherz – mit dem er mittlerweile Ironman-Triathlons bewältigt und damit als fittester Herztransplantierter der Welt gilt.
Am 12. Juli 2020 feiert Elmar Sprink zum zehnten Mal seinen zweiten Geburtstag. Er sitzt gemütlich zu Hause auf der Wohnzimmercouch und schaut die Tour de France, als sein Herz plötzlich aufhört zu schlagen. An einem Tag, an dem seine Frau Karin früher als geplant nach Hause kommt. Sie findet ihn leblos und weiß trotz der Panik genau, was sie machen muss. Und weil auch Nachbar Michi, ein Arzt, zufällig daheim ist, gelingt es den beiden, Sprink ins Leben zurückzuholen.
Die Wochen und Monate danach werden für ihn zum Alptraum. „Bis heute ist die medizinische Ursache ungeklärt“, sagt Sprink, der, nachdem er aus der Klinik entlassen wird, zu Hause Angst hat. Dass das Herz wieder stehenbleibt – einfach so. Und der zusieht, wie er Tag für Tag schwächer wird. „Zum Schluss musste ich sogar meine Dauerkarte tauschen“, erzählt der glühende FC-Köln-Fan, dessen Kraft damals nicht mehr reicht, die Treppen im Bundesligastadion hochzugehen. Sein ganzes Leben lang hat er sich bewegt. Hat Fußball gespielt, war ein ganz passabler Langstreckenläufer. Und jetzt das.
Quälende Ungewissheit
„Mein Ärzte waren sich einig: ohne Spenderherz werde ich nicht mehr lange leben“, blickt der heute 48-Jährige zurück. Kurz vor Silvester 2011 wird er ins Krankenhaus eingeliefert. Status HU. High urgent. Im Februar 2012 bleibt sein Herz erneut stehen. Not-OP. „Ich bin vom Krankenhaus nach Hause gefahren und dachte: den siehst du nicht wieder“, blickt sein Vater sichtlich bewegt zurück. Insgesamt sieben Monate ist Sprink ans Krankenbett gefesselt – in der ständigen Ungewissheit, wie es weitergeht.
Sprink weiß, dass es in Deutschland viel zu wenige Spenderorgane gibt. Jeder Dritte stirbt deshalb, bevor ein passendes Organ gefunden wird. Sprinks Herz wird schwächer und schwächer, aber es ist ein Kämpferherz. Und es hält durch. „Im Fernsehen lief gerade das Fußball-EM-Spiel Russland gegen Tschechien“, erinnert sich Sprink an den Moment am 8. Juni 2012, als sein Pfleger André aufgeregt ins Krankenzimmer kommt und sagt, dass ein passendes Herz für Sprink gefunden sei. Danach muss alles ganz schnell gehen – viereinhalb Stunden später schlägt eine neue Pumpe in Sprinks Brust.
Eine halbe Stunde für 400 Meter
Und von da an geht es bergauf. Einen Monat nach der OP darf er wieder nach Hause. Für 400 Meter zu Fuß braucht er noch rund eine halbe Stunde. Ein paar Wochen später aber sitzt er schon wieder auf dem Rad, kehrt Schritt für Schritt ins Leben zurück. Und Leben heißt für ihn Sport – auch mit dem neuen Herzen. Ostern 2013 läuft er seinen ersten Wettkampf. Zehn Kilometer in 58 Minuten. Genau ein Jahr nach der Transplantation absolviert er seinen ersten kurzen Triathlon. Im Oktober ein Halbmarathon in einer Stunde und 49 Minuten, bei den Weltmeisterschaften der Transplantierten gewinnt er Silber im Langlaufen und Bronze im Snowboarden sowie Bronze im Schwimmen und Gold im Triathlon. Und 2014 erfüllt sich Elmar Sprinks größter sportlicher Traum. Er absolviert als erster Mensch mit einem Spenderherz den Ironman-Triathlon Hawaii. 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, 42 Kilometer Laufen.
Sprink schreibt seine Geschichte auf, veröffentlicht sein Buch „Herzrasen 2.0“. Und er weiß, dass ihn viele für verrückt halten, teilweise sogar für fahrlässig, seinen Körper so zu strapazieren. Aber seine Ärzte, auch die, die seinen Tatendrang anfangs kritisch sahen, unterstützen ihn, begleiten ihn und wachen über seine Körperdaten. Leistungssport mit einem Spenderherz? Bei Elmar Sprink halten sie das für unbedenklich. Aber dennoch muss er, wie alle anderen Transplantierten auch, regelmäßig Medikamente einnehmen. Sein Immunsystem ist deshalb anfällig für Infekte – die das Risiko, der Körper könne das transplantierte Organ wieder abstoßen, erhöhen.
Hygiene als Normalität
Das, was viele Menschen erst während der Corona-Krise verinnerlicht haben, gehört für Sprink schon lange zur Normalität. Hände regelmäßig desinfizieren, wenn möglich Abstand – vor allem von Menschen mit offensichtlichen Erkältungssymptomen halten, vorsichtig sein. Trotzdem nistet er sich nicht ein, sondern geht aus, mag gute Restaurants, reist viel – nicht zuletzt für seinen Sport.
Im Februar, bevor der Coronavirus in Europa sich auszubreiten beginnt, fliegt Elmar Sprink zusammen mit dem Mountainbike-Profi Peter Schermann nach Kapstadt. Zusammen wollen sie bei der „Tour de France“ der Mountainbiker, einem achttägigen Etappenrennen in Südafrika teilnehmen. Für Schermann ist das Virus noch weit weg. Aber Sprink spürt schon die Bedrohung, hält es für unverantwortlich das Rennen zu fahren. Aber er ist innerlich zerrissen. Die Form ist gut. Die Vorbereitung war lang, zeit- und kostenintensiv. Einen Tag vor dem Rennen nehmen ihm die Organisatoren die Entscheidung ab: sie sagen das Rennen ab.
Mit dem letzten Flieger nach Hause
Die Südafrikanische Regierung schließt die Grenzen wenig später, obwohl es noch so gut wie keine positiven Fälle in Südafrika gibt. Wie ist die medizinische Versorgung, wenn ich nicht mehr nach Hause komme? Habe ich ausreichend Medikamente? Sprinks Sorgen wachsen von Tag zu Tag. Sie kriegen den allerletzten Linienflieger, der vor dem Lockdown Südafrika verlässt. Fliegen über Doha nach Berlin, stundenlanges Anstehen, Warten, Kontrollen – eine Odyssee. „Da muss es passiert sein“, sagt Sprink.
Zu Hause quartiert er sich bei seinen betagten Eltern in Ostwestfalen ein, weil er sich auf dem Land sicherer fühlt als in seiner Heimat Köln. Weil sie alle drei zu Risikogruppen zählen, achten sie gegenseitig auf sich. Aber Sprink fühlt sich schlapp. Und als er plötzlich beim Zwiebeln schneiden nichts mehr riecht, schöpft er Verdacht. Zwei Tage später weiß er, dass er positiv ist. „Zuerst konnte ich das gar nicht glauben“, sagt er. Er macht sich nicht nur Sorgen um sich selbst, sondern auch um seine Eltern: „Ich hätte mir Riesen-Vorwürfe gemacht, wenn ich sie angesteckt hätte.“ Aber die Eltern bleiben negativ. Sprink ist in den Tagen darauf angespannt, aber medizinisch bestens versorgt.
Neues Bewusstsein
Trotz der Müdigkeit fühlt er sich gut, zumal er ermutigende Berichte von anderen Transplantierten erhält, die eine Corona-Infektion überstanden haben. Manchmal beklagt er sich sogar darüber, dass er nicht trainieren darf und auf dem Land festsitzt – merkt aber dabei sofort, wie er seine Situation einordnen muss, dass das Luxusprobleme sind: „Ich muss nur daran denken, dass ich mal monatelang ans Krankenbett gefesselt war.“ Zudem ist er „heilfroh“, so gut wie keine Covid-19-Symptome zu haben. Vier Wochen Zwangspause liegen hinter ihm, Quarantäne, medizinische Untersuchungen, mehrere Tests. Seither zählt Sprink zu den offiziell Genesenen – mit mildem Krankheitsverlauf. Und sitzt wieder auf dem Rad. Und schwimmt. Und läuft.
Auch, wenn seine Infektion glimpflich verlaufen ist, kann Elmar Sprink all jene nicht verstehen, die die Gefahr herunterspielen. „Unsere Gesundheit ist das Wichtigste, was wir als Gesellschaft schützen müssen“, sagt er. Dass es gerade ein größeres Bewusstsein für Hygiene gibt, freut ihn deshalb: „Ich find’s cool, dass gerade überall Desinfektionsmittel rumsteht. Wenn ich mir früher im Restaurant die Hände desinfiziert habe, wurde ich manchmal angeschaut wie ein Alien.“
Wenn die Corona-Pandemie vorbei ist, hofft er, dass das dieses Bewusstsein bleibt. Und er freut sich darauf, mal wieder auf ein Straßenfest zu gehen „und endlich mal wieder ins Stadion zum Effzeh.“ Sportliche Ziele hat er ohnehin noch jede Menge. Und mit seinem großen Kämpferherz will er sich nach wie vor für das Thema Organspende vorantreiben. Sein Wunsch ist, dass sich möglichst viele Menschen – auch mit Unterstützung des Gesetzgebers – für einen Organspenderausweis entscheiden. „Nur weil es für mich einen Spender gab, bin ich noch am Leben“, sagt er. Dafür ein Bewusstsein zu schaffen – das ist für ihn Herzenssache.
Das Porträt ist am 2. Oktober 2020 in den Badischen Neuesten Nachrichten erschienen.