Wundaba! Dort, wo die Straße zum Kap der Guten Hoffnung abzweigt, bieten mindestens 30 Kunsthandwerker ihren Schmuck, ihre Souvenirs, ihre Skulpturen an. „Wo kommt ihr her?“, ruft uns einer zu. „Aaaah – Germany? Wundaba!“ Wir halten an. Mal wieder ungeplant.

Jens Vögele und Mike Kluge fahren am Chapman's Peak Drive Rennrad
Spektakuläre Aussichten auf dem legendären Chapman’s Peak Drive. Christian Blecher

Südafrikas Süden ist wahrscheinlich die schönste Rennrad-Region der Welt. Vor allem, wenn es bei uns kalt ist und auf der Südhalbkugel der Sommer regiert. Und vor allem für diejenigen, die unter Rennrad fahren nicht das stupide Abspulen von Kilometern verstehen. Hier gibt es so viel zu erkunden, hier sind die Menschen so unglaublich freundlich, hier gilt es, bei allem Trainingseifer die Langsamkeit zu entdecken, weil der Verzicht auf ungeplante Stopps auf der Rennrad-Tour die reinste Verschwendung wäre. Südafrika? Wundaba!

Ein Weingut in der Nähe von Stellenbosch
Rund um Stellenbosch gibt’s nicht nur wunderschöne Strecken, sondern auch Weingüter an jeder Ecke. Christian Blecher

Profis wissen die Vorzüge der Region um die extrem „gechillte“ Metropole Kapstadt längst zu schätzen. Mike Kluge, dreifacher Querfeldein-Weltmeister, war 1995 das erste Mal in Südafrika – und kommt seither immer wieder. Kein Jetlag, perfekte Trainingsbedingungen, traumhafte Landschaft – easy going. „Oft habe ich in Privatunterkünften gewohnt“, sagt Mike, weshalb er viele Kontakte knüpfen konnte, Freundschaften schloss und das Leben der Einheimischen zu verstehen lernte.

Jens Vögele und Mike Kluge bei einer Weinprobe
Eindeutiges Urteil der Geschmacksprobe: der Rote ist noch besser als der Weiße. Christian Blecher

Leben am Kap der Guten Hoffnung erscheint traumhaft. In Camps Bay vor Kapstadts Toren im Café Caprice zum Sonnenuntergang einen Cocktail schlürfen – so ungefähr muss das Ende eines Tages im Garten Eden aussehen. Aber Leben am Kap der guten Hoffnung kann auch grausam sein. Extrem reich und extrem arm treffen hier wahrscheinlich deutlicher aufeinander als irgendwo sonst. Um das Leben der Einheimischen zu verstehen, gehört es deshalb dazu, nicht nur den Sundowner in der hippen Bar zu genießen, sondern auch den Menschen im Township zu begegnen.

Jens Vögele und Mike Kluge entdecken am Strand einen Pinguin
Spontane neue Freundschaften entstehen am Boulder’s Beach. Christian Blecher

Alleine in die Armutsviertel zu gehen, wäre extrem gefährlich – ein Township-Besuch mit einem einheimischen Führer aber ist sicher und extrem aufwühlend. Chris, der schon ewig in Kapstadt lebt, bringt uns ins Township Khayelitsha, das einst für 30.000 Menschen geplant wurde, in dem aber heute 1,5 Millionen leben. Die Verhältnisse sind bedrückend, der Lebensmut, die Freundlichkeit, die leuchtenden Augen vieler Menschen dort trotz der Umstände beeindruckend.

Jens Vögele und Mike Kluge verhandeln mit einem Marktverkäufer.
„Nie im Leben ist das ein Freundschaftspreis!“ Feilschen ist ein Spaß für alle. Wundaba! Christian Blecher

Viele unserer Erlebnisse bleiben den meisten dieser Menschen Zeit ihres Lebens vorenthalten. Kapstadt ist teuer geworden, spätestens seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2010. Wer abends ausgeht, muss mit Preisen auf europäischem Niveau rechnen. Dafür gibt’s vielerorts afrikanische Spezialitäten auf dem Teller. Im Africa Café, in Kapstadts City etwa, lässt sich vorzüglich speisen. Springbock, Vogel Strauß oder Krokodil. „Zur Vorspeise haben wir Würmer gegessen“, erzählen wir am nächsten Morgen Paul, einem Einheimischen, stolz von unserer Dschungelcamp-tauglichen Mutprobe. „Typisch Touristen“, entgegnet Paul gelangweilt. „Keiner, der hier lebt, würde freiwillig Würmer essen.“

Jens Vögele und Mike Kluge sitzen auf dem Schild am Kap der Guten Hoffnung
Zwangsläufiges Fotomotiv am Kap der Guten Hoffnung. Christian Blecher

Die meisten, die hier leben, wissen aber, dass zwischen Stellenbosch und Franschhoek vorzügliche Weine wachsen – und trinken sie deshalb auch. Zugegeben: Eine Weinprobe und eine Rennrad-Tour passen zwar nicht wirklich zusammen, aber das Spier Wine Estate am Ortsrand von Stellenbosch liegt so traumhaft, dass wir einfach anhalten müssen. Mal wieder ungeplant. Wir trinken genau so viel, um noch sicher weiterfahren zu können, aber auch genau so viel, um uns voller Mut von der Zahmheit der Geparden im benachbarten Park persönlich zu überzeugen.

Jens Vögele und Mike Kluge fahren mit ihren Rädern in Kapstadt mit dem Tafelberg im Rücken
Den Tafelberg im Rücken, das Meer an der Seite – ein Traum! Christian Blecher

Es ist ohnehin nicht schwer, hier Kontakte mit allerlei Kreaturen zu knüpfen. Wer unter Einsamkeit leidet, findet spätestens in Boulder’s Beach auf der Kap-Halbinsel neue Freunde: Hier leben äußerst gesellige Brillenpinguine. Äußerst gesellige Touristen tummeln sich ein paar Kilometer weiter – am Kap der Guten Hoffnung. Am Ende der Straße erfahren sie, dass die Jahreszahlen auf Mikes Trikot für drei Weltmeistertitel stehen. „Ich war auch mal Weltmeister“, behaupte ich im Scherz. Weil das keiner bezweifelt, werden wir beide zum begehrten Fotomotiv – an dem Punkt, wo Atlantischer und Indischer Ozean aufeinandertreffen.

Eine lange und kurvige Straße
Schlangenlinien fahren hat nicht immer etwas mit Weinproben zu tun. Christian Blecher

An jenem Punkt, an dem Südafrika und Italien aufeinandertreffen, starten wir jeden Morgen in den Tag: Bei „Giovanni’s“, in Green Point’s Main Road unweit vom markanten Fußballstadion, gibt es fantastischen Espresso und noch fantastischeres Frühstück. In Flip-Flops, kurzer Hose, T-Shirt und Sonnenbrille schmieden wir Pläne.

Jens Vögele und Mike Kluge liegen auf einer Mauer und blicken aufs Meer
Noch schöner als Rad fahren? Nicht Rad fahren und dabei den Blick übers Meer schweifen lassen. Christian Blecher

Okay, wir lieben es, Rennrad zu fahren. Aber wir lieben es auch, andere Dinge zu tun. Deshalb sind wir nur gut eine Stunde später oben auf dem Tafelberg. Zu Fuß. Die Aussicht: Spektakulär! Das zweite Frühstück: Nicht so gut wie bei „Giovanni’s“, aber nach kräftezehrendem Anstieg wohlverdient. Die Seilbahn bringt uns wieder runter, und wir verbringen einen relaxten Tag in der City. Shoppen an der Waterfront, Souvenirs suchen auf dem Green Market, Straußensteaks essen am Nachmittag, und danach ins Café Mojito. Nicht wegen des Kaffees. „Lass uns zwei Harleys ausleihen und auf Tour gehen“, schlägt Mike vor. Entlang der beeindruckenden Garden Route zum Beispiel Richtung Port Elizabeth. Oder zur Aquila-Farm ins Landesinnere, wo es die großen Wildtiere zu sehen gibt. Oder an der Westküste Richtung Langebaan zu den unglaublich schillernden Sandstränden.

Jens Vögele und Mike Kluge in einer Bar in Camps Bay
Sehen und gesehen werden. Und natürlich essen und trinken. Darauf kommt es in Camps Bay vor den Toren Kapstadts an. Christian Blecher

Wir widerstehen den Verlockungen und bleiben dabei, das Land mit dem Rennrad zu erkunden. Zumal ich nur ein paar Tage habe – und zumindest ein wenig die Wintermüdigkeit aus den Beinen treten möchte. Mike bleibt noch etwas länger, weil er weiß, dass eine knappe Woche in Kapstadt viel zu kurz ist. Es gibt hier einfach noch so viel zu entdecken. Ob mit dem Rennrad oder ohne. Südafrika? Wundaba!

Die Reisereportage wurde im Magazin ROADBIKE, Ausgabe 1/2013, veröffentlicht.